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Unter welchem Leistungs- und Erwartungsdruck stehen Helfer:innen im Opferschutz

und was für uns als ehrenamtlicher Verein, der sich von Mensch zu Mensch und von und für Selbstbetroffenen hilft, besonders erschwerend ist.



Die Menschen, die zu uns kommen haben ein großes Paket im Rucksack und oft auch eines, welches noch nie richtig angegangen werden konnte. Die Klientinnen, die den konsequenten Schritt in den Opferschutz gehen, waren oft lange Zeit Opfer von familiärer, sexualisierter Gewalt, die sich häufig in Partnerschaften in ähnlicher Form als "häusliche Gewalt" zeigt. Der Grund der oft lang erlebten Gewaltspirale liegt auf der Hand, das Erlebte aus alten Tagen konnte nicht ausreichend bearbeitet werden, so dass die Menschen von System verlassen, auf sich selbst gestellt sind und ihren Überlebenskampf allein kämpfen. Solange bis sie irgendwann nicht mehr anders können, als den Schritt in die Hilfe zu wagen oder vielleicht noch schlimmer, es nicht mehr schaffen.


Vielen Menschen ist oft nicht bewusst, welch ein Druck die Betroffenen auf allen Ebenen haben. Neben dem psychischen Leid, den körperlichen Verletzungen und Erkrankungen, sind sie auch mental stark geschwächt und häufig auch, durch die erzeugten Abhängigkeiten, finanziell in Not. Die finanzielle Problematik hat sie, nicht selten durch das Systemversagen zusätzlich zur emotionalen Abhängigkeit, an den gewalttätigen Partner gebunden. Hilfe und Unterstützung wird also in allen erdenklichen Bereichen benötigt. Dafür engagieren wir uns als Selbstbetroffene heute selbst für andere. Wir waren ebenfalls gezwungen ohne Anzeige und dem dringend benötigten Therapieplatz, um Ressourcen aufzubauen, diesen extrem beschwerlichen Weg zu gehen und können so unsere Erfahrungen weitergeben. Unsere Hilfe steht in erste Linie unter der Überschrift: Menschlichkeit und Nächstenliebe. Sie soll den betroffenen Menschen einen sicheren Ort schaffen, aber auch die Möglichkeit sich zu stärken und der entsprechenden Lebens- und Bedrohungslage Ressourcen aufbauen zu können, wenn andere Hilfen noch fehlen oder nicht angenommen werden können. Hilfe sollte, besonders bei Menschen, die durch die nächsten Vertrauenspersonen, wie die Familie und Partner:innen, derart stark im Vertrauen erschüttert und verletzt wurden, auf Vertrauen, Empathie und Verständnis aufgebaut werden. In diesem Beitrag möchten wir in Stichpunkten den Druck und die Leistungsbereitschaft und den manchmal unendlichen Spagat für uns als Helfende, in einem lückenhaften System in Kombination mit dem enormen Hilfebedarf der Schutzsuchenden, deutlich machen.



  • Die Not, die akute Bedrohungslage, die psychische Verfassung und die Erwartungen des Hilfesuchenden.

Zusätzlich:

Nicht genau zu wissen über welche inneren Ressourcen der

Hilfesuchende verfügt und wie hoch die kriminelle Energie

des anhängenden Täterkreises ist, der sein Opfer unter Druck setzt.

  • Sorge um den Hilfesuchenden und Angst vor erneuten Übergriffen, die für den Rückzug aus der Hilfe sorgen können. Begünstigt wird dies dadurch, dass zumeist keine Anzeige gemacht werden kann und gute Therapie- und ergänzende, der Bedrohungslage entsprechende, Hilfsangebote fehlen.



  • Eventuell erforderliche Konfrontation und direkte Auseinandersetzung mit dem Täter, der Täterin oder einem Täterkreis, der, je nach krimineller Energie, auch gefährlich für das Leben des Helfenden werden kann.

  • 24/7 Abrufbereitschaft im Opferschutz, um die aufsteigenden Gefühle auffangen und stabilisieren zu können. “Erste Hilfe Maßnahmen”, auch im Bereich Schutz- und Abwehrmaßnahmen, von Mensch zu Mensch als Überbrückung, da Helfer:innen nicht zwangsläufig ausgebildete Therapeut:innen sind und ergänzende Hilfen oft fehlen.



  • Die traumabedingte Angst, sowie der im Opferschutz reale Täterdruck, der durch die fehlenden psychischen und mentalen Ressourcen verstärkt empfunden wird und häufig auch zur Dissoziation führt, kann eine 24/7 Begleitung bei alltäglichen Tätigkeiten und Terminen, erforderlich machen.

  • Aufbau eines ressourcen- und bedürfnisorientierten und stabilen Helfernetzwerks, um ein selbstbestimmtes Leben danach finden zu können.


Einige halten die Hilfe durch Selbstbetroffene, und dann noch in der Opferschutzarbeit, für kontraindiziert. Wir haben jedoch selbst die Erfahrung machen können, wie wertvoll Vorbilder besonders im Tabubereich inzestuöser Gewalt sind. Das Unaussprechliche wird aus eigener Erfahrung verstanden, Scham- und Schuldgefühle können sich weitaus schneller abbauen, so dass ein menschlicher, respektvoller und normaler Umgang mit den Spätfolgen und untereinander gefunden werden kann. Eine gute ergänzende Basis für alle weiteren Schritte, die in keinem Lehrbuch zu finden sind.

Leider sind wir als "nur" Selbstbetroffene leicht durch fehlende Kompetenzen, wie die Ausbildung zur Psychotherapeut:in oder ähnlich anerkannte Qualifikationen, durch Leugner oder die Täterseite selbst angreifbar oder werden anderweitig in Frage gestellt indem Zweifel über unsere Arbeit gesät werden.

Sicher ist dieser Umstand und die traurige und nicht ungefährliche Nebenwirkung im Engagement mit Betroffenen, auch anderen Organisationen und "Einzelkämpfern" in der Opferschutzhilfe bekannt. Gerät man doch als praxisnaher Helfer automatisch zwischen die Fronten und bringt einen bisher unsichtbar agierenden Täter oder Täterin in Gefahr.


Seid ihr selbst in der Hilfe? Wie sind eure Erfahrungen und wie füllt ihr eure Ressourcen wieder auf? Schreibt es gern in die Kommentare.

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