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AutorenbildEl Faro Berlin

Unglaube oder der Kern des Glaubens an sich selbst

Ein Erfahrungsbericht einer Frau, die innerhalb des familiären sexuellen Missbrauchs zwangsprostituiert wurde und zur Geldeinnahmequelle ihrer Familie wurde. Wir danken für diese offenen Worte in der Beschreibung Ihres Kampfes zu sich selbst zurück.

Es war einer dieser Tage. Einer dieser Tage, wo regelrecht zwanghaft in mir die Gedanken kreisen.

Warum ist das Leben eigentlich ein einziger Schmerz? Warum komme ich nicht weiter, ich versuche doch schon alles? Warum kann ich nicht wütend sein? Warum kann ich nicht nein sagen, sondern empfinde nur Traurigkeit und Sehnsucht nach Familie und Halt und nehme dafür Hochverrat an mir und meiner Seele in Kauf? Warum bin ich immer allein? Warum bin ich nur so unfähig, andere kriegen es doch auch hin? Weil ich so schwach bin? Wieso stelle ich mich so dumm an? Was ist nur passiert mit mir? Warum spüre ich mich nicht? Warum kann ich nicht einfach „ja“ zu mir sagen? Wieso bin ich nur so komisch und unfähig?

Mich quälte in solchen Momenten dieser „Unglaube“ an mich und das Leben, dieser ständige Geschmack von Aufgabe, ohne Verbindung dazu, wer ich einmal war und mit welcher Aufgabe ich das Licht dieser Welt erblickte und was mit mir geschah, dass es dann nur noch Dunkelheit in mir zu geben schien, ohne eine Verbindung zu meinem Innersten.

Das Schlimmste, das aller-, allerschlimmste was man einem Menschen antun kann ist es ihn so unter Druck zu setzen, dass er aufgibt. Woran sollst du noch glauben, wenn dein Herz voller Dunkelheit ist? Wie sollst du einen Weg finden, wenn doch alle versperrt zu sein scheinen? Und dann lebt in dir Selbst die Negativität weiter, die doch eigentlich zu denen gehört, die dich zur Aufgabe zwangen.

An diesem Tag also ging die Qual wieder los. Ich verstricke mich im Netz der Autoaggressionen, bin sauer auf mich für diese Gedanken und Negativität, fühle mich schuldig, fühle mich unfähig mein Schicksal zu bewältigen und erkenne den Zusammenhang nicht. Wie so oft, quäle ich mich damit, dass ich es einfach nicht schaffe erwachsen umzugehen mit meinen Problemen, mich aufzufangen, zu sehen was ich heute alles habe, fühle mich undankbar und mache mich fertig dafür. Das dauert den ganzen restlichen Tag an, bis zum späten Abend. Dann merke ich, dass die Menschen mit denen ich heute über mein Problem gesprochen habe mich nicht erreichen konnten, weil ich mich blockiert fühlte, als ob ich die Hilfe nicht annehmen darf, erwische mich dabei, dass ich ihnen zwar glaube, es aber nicht zu mir durchdringt, wenn sie sagen: „du bist doch ganz anders eigentlich, eine starke Frau, positiv und intelligent. Lass dich doch nicht fertig machen von diesem Negativ-Programm. Diejenigen, die dich missbraucht haben, Straftaten an dir begangen haben, wollten ja nie, dass du stark und unabhängig bist!“ Und ich denke, ja, dann hätte ich mir viel früher Hilfe geholt, hätte mich wirksam wehren können, wäre nicht so schnell innerlich eingeknickt. Aber ich spüre in meinem Inneren Aufgabe und Gefühle wie „das bringt doch eh alles nichts“.

Es ist furchtbar. Ich komme aus diesem Gefühlssumpf nicht heraus, bekomme immer mehr Kopfschmerzen und irgendwann stehe ich vor dem Spiegel und sehe mich an. Ich werde plötzlich stutzig, weil ich sehe wie groß ich bin. Es passt gar nicht zu meinem Gefühl. Ich fühle mich klein, unfähig mich gegen einen Erwachsenen zur Wehr zu setzen, eben so wie früher – immer noch. Nun schaue ich mich an und merke wie unreal das auf eine Art ist, eine alte Finte, ein Irrweg, ein Trugschluss – ein falsches Bild. Es verändert sich etwas. Ich denke an meine Mutter, wie egal ich ihr immer war und dass sie nie etwas wissen wollte davon wie es mir ging, wenn sie mich als Kind abholte von einer Vergewaltigung, was oft passierte, da ich zwangsprostituiert wurde. Sie wollte einfach ein normales Leben und einen normalen Alltag haben, so wie sich jeder Mensch ein normales „harmonisches“ Leben wünscht, also holte sie mich auch „normal“ ab. Als würde sie mich von einem Hobby abholen.

Das war’s jetzt! Ich hatte die Schnauze voll! Mein ganzes beschissenes Leben lang mache ich mich fertig und fühle mich schuldig und diese Frau lebt immer noch ihr Scheiß normales Leben und es geht ihr gut. Jeden beschissenen Scheiß Morgen haben ich Schmerzen beim Toilettengang, weil sie mir Genitalien und den Analbereich aufgerissen haben, bis es blutige Risse gab! Jeden beschissenen scheiß Tag! Und den ganzen Tag über quäle ich mich selber mit deren Glaubenssätzen für mich, mit deren Lebensprognose für mich: „Du bist nichts, du kannst nichts und du bist nichts wert, gerade gut genug um gefickt zu werden und etwas anderes wirst du in deinem Leben auch nie erreichen, dafür sorgen wir!“

Ich hätte die ganze Wohnung auseinander nehmen können! Ich wollte irgendwo reinschlagen, war so wütend, es war mir scheiß egal wie sehr ich unterdrückt wurde, wie viele Probleme ich dadurch hatte, körperlich und psychisch! Ich wollte jetzt endlich leben! Ich habe ein Recht auf Leben gottverdammt! Ich war so empört darüber, dass ich mir wegen denen selbst mein Leben auch noch zur Hölle mache, indem ich nicht an mich glaube, kein Verständnis habe für mich, nicht im Hier und jetzt lebe! Abrutsche in deren Welt.Es reicht, es reicht - es reicht! Und es ist mir egal wer sich mir in den Weg stellen wird. Wer mir wehtun will, der wird die Wut und den Schmerz meines zerstörten Lebens zu spüren bekommen! Wie ich sie alle hasse für das was sie mir angetan haben!

Schluss jetzt damit! Keiner darf mir mein Leben kaputt machen, auch nicht die innere Stimme meiner Mutter oder von sonst wem, die mich runter macht vom feinsten! Ich will leben! Ich will gut sein zu mir, an mich glauben und das werde ich auch! Denn in meinem Innersten war ich es immer, bis man mir jeden Raum, die Luft zum überleben nahm! Es ist mir scheiß egal wer sich mir in den Weg stellt! Ich bin entschlossen und wer etwas anders meint, der wird mich kennen lernen und der darf meine Faust kennen lernen von der sie mir die Finger einst brachen! Es ist mir egal wie schlimm mein Schicksal ist und es ist mir egal, wie gelitten ich bin, ich stehe auf und zwar jetzt! Und jetzt! Und jeden Moment!!!

Ich bin wütend und daraus entspringt auf einmal Lebenswille. Viel zu lange habe ich mich hinter meinem schlimmen „ach so schweren, tragischen“ Schicksal versteckt anstatt zu leben (nicht falsch verstehen, es ist tragisch, schwerer und dramatischer könnte es nicht sein), zu atmen, zu tanzen, zu beten, zu essen, zu schlafen, zu trinken und zu kacken, zu lachen, zu schreien und zu weinen – kurzum mich zu spüren mit allem was zum Leben dazu gehört!!!

Ich will mich spüren und jeden Tag ausrasten vor Glück!!!

Ein hoher Anspruch? Mag sein, dass ich durch den Druck und die Bedrohung der ich nach wie vor ausgesetzt bin das nicht immer kann. Aber ich weiß dass ich mich spüre! Und ich bin glücklich über mein Leben!

Es gibt in mir noch einen letzten Rest von Leben. Einen letzten Rest von dem, was ich ganz ursprünglich immer war und sein sollte, ganz tief in meiner geliebten Seele, die so tief und so wissend wie das Meer ist. Ich kann das zwar oft noch nicht fühlen, noch nicht danach leben. Aber ab und zu blitzt in mir ein Funken davon auf, ab und zu spüre ich, dass da in mir doch noch mehr sein muss. Dann verzweifele ich wieder, weil die Sehnsucht nach mir selbst so groß ist und dennoch meine eigene Gefühlswelt unerreichbar zu sein scheint, es ist wie ein tiefer Riss in mir, so dass der Schmerz darüber unerträglich zu sein scheint.

Trotzdem ist da dieses Aufblitzen, was mich am Leben hält, das mich auch zu den Menschen führte, die mir dabei helfen mich zu befreien aus dem Labyrinth der Irrwege.

Jeder Mensch hat einen Kompass in sich, eine Seele, die ihn lenkt und leitet. Ob man ihn nutzen kann oder nicht, er ist da und kann schon spüren wie viel mehr in mir drin steckt von meinem eigenen Potential, von dem was ich immer sein wollte und sollte und woran ich glaube. Ich hatte es vergessen über so lange Zeit, aber ich will dafür kämpfen genau das frei zu legen, immer mehr!

Und das ist es auch, woran man immer glauben muss. Egal, ob man es fühlen kann oder nicht, ob man zur Aufgabe gezwungen wurde, ob man ein noch so schweres Schicksal hat. Man muss an sich glauben, daran glauben, dass das eigene Gefühl, der eigene Kern, der eigene Ursprung tief in einem da ist. Und wenn man es nur schafft an diesem einen Punkt festzuhalten - dann schafft man es einen Weg zu finden, wieder nach dem eigenen Plan zu leben. Ich weiß wie schwer es ist, wenn doch in einem tausend andere Stimmen schreien, dass man das vergessen kann und lieber einpacken sollte. Aber ich weiß auch, dass ich um so mehr daran glauben muss! Selbst wenn doch oft diese anderen Stimmen so viel stärker zu sein scheinen und ich glaube es gäbe nichts anderes in mir! Doch! Das gibt es immer! Ich entscheide selber wer ich sein möchte und egal wie schwer es ist, dieses eine einzige Versprechen muss ich mir jetzt geben:

Ich darf niemals niemals nichtan mich glauben! Ich glaube an mich! Ich mag mich! Und damit werde ich alle Dämme berchen!

Glaubt an euch! Kein Mensch kommt auf die Welt, um ein Leben als „der letzte Dreck“ zu führen! Keiner! Jeder hat ein Grundrecht darauf seinen eigenen Lebensplan zu verfolgen und zu erfüllen! Und kein Mensch kommt auf die Welt und findet sich selbst dumm, hässlich, unfähig und lehnt sich ab! Es sind andere die einen ablehnen und durch die man es lernt sich abzulehnen! Ich habe von meinen Eltern alles gelernt, was man in einem Leben nicht gebrauchen kann und was mich in den Selbstmord führt!

Und genau deshalb ist es hinfällig! Es gibt eine goldene Regel, die tiefer geht als alles das, was wir erlernt haben und wodurch wir geprägt sind, die unser tiefstes innerstes betrifft: Ich glaube an mich und ich mag mich und ich habe ein Recht auf ein eigenes Leben!

Und ein jeder von uns Betroffenen hat es verdient nach dieser goldenen Grundregel sein Leben zu leben. Wenn wir schon so furchtbar verletzt wurden, dann müssen wir uns selbst diesen einen Gefallen tun und dürfen nicht diese Verletzung, dieses Vergehen an uns fortführen! Das hat keiner verdient und wir dürfen es nicht, deswegen dieses Versprechen:

Es ist mir egal, wie viel Probleme ich habe, wie viele unschöne Eigenschaften ich habe, die ich nicht haben will, was ich alles in der Vergangenheit verbockt habe. Ab hier und jetzt glaube ich an mich! Und weiß, dass ich es irgendwie schaffen werde und dass ich zu jedem Problem auch die Lösung finden werde und die Lügen die sich vor meinem inneren Kompass aufgebaut haben und mich schon so oft in die Irre geführt haben enttarnen werde!

Ja verdammt, ich habe Probleme, ja ich habe eine katastrophale Vergangenheit und ja, dementsprechend sieht es in mir drinnen auch katastrophal aus. Aber ich weiß mein Kompass ist da und wenn ich auch nicht immer freie Sicht darauf habe so ist er dennoch da und je mehr ich daran festhalte und glaube, um so weniger Macht haben die Lügen und umso mehr lichtende Momente habe ich! Und wenn ich zunächst nur darum kämpfe dieses eine Versprechen mir selbst gegenüber zu halten! Das werde ich schaffen und kann jeder einzelne von uns Betroffenen schaffen!

Kämpft mit mir! Kämpft um euer Leben! Denn je mehr es von uns tun, umso mehr unterstützen wir uns gegenseitig und umso dichter wird die Front durch die kein Durchkommen ist für Lügen und Irreführung und eine verdrehte Gefühlswelt! Wir sind es wert! Ihr seid es wert! Jeder einzelne und ich kann nicht länger zu gucken wie ich und andere für das Unrecht, dass an uns begangen wurde sich auch noch schlecht fühlen!

Kämpft! Kämpft mit mir! Denn nur, wenn wir es nicht tun, sind wir verloren!

1 comentario


Miembro desconocido
24 nov 2018

Ich habe jetzt einfach mal auf kommentieren geklickt. Ob der Kommentar jetzt auch zu dem Blog gepostet wird, weiß ich irgendwie nicht. Ich habe den Beitrag schon gestern gelesen, aber ich war so erledigt, dass ich nicht mehr antworten konnte. Wenn der Kommentar jetzt irgendwo landen sollte, bitte einfach löschen. Ich glaube, der Erfahrungsbericht der Frau, beschreibt das was viele Betroffene von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung kennen. Mich eingeschlossen.

Das Gefühl, dass das Leben, bzw. die Erinnerungen an die unzähligen Vergewaltigungen ein einziger Schmerz sind. Was nicht heißt, dass man zwischendurch nicht auch mal lachen kann. Ich kann das zum Glück wieder.

Aber ich habe Jahrzehnte an das geglaubt was mit Täter/Täterinnen eingeprügelt haben. Ich hatte ja kein Gegenpol. Aber…


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