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TäterInnen Verhalten


Heute wollen wir uns mit dem Täter-Verhalten beschäftigen.

Wir als „Verein zur Hilfe und Unterstützung von Opfern sexuellen Missbrauchs und Gewalt“ haben schon einige Opfer bei ihrem Weg aus dem Missbrauch begleitet und u.a. Schutzgemeinschaften gebildet, um sich gegenseitig vor den Tätern zu schützen. Der folgende Text stützt sich auf die Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben. Wobei "leider machen mussten" wohl die bessere Beschreibung für das ist, was wir im Laufe der Jahre an Erfahrungen im Umgang mit den Tätern machen mussten.

Manchmal fragen wir uns, ob es wohl so etwas wie ein Strategie-Buch für Täter gibt, das weitergereicht wird? Denn das Vorgehen bzw. die Phasen sind immer gleich. Sie mögen vielleicht etwas variieren. Aber das Prinzip ist immer das Gleiche. Doch bevor wir zu den eigentlichen Phasen kommen, um die es beim Täter-Verhalten geht, erst noch einmal eine kurze Beschreibung der Situation, in der sich ein solches Opfer befindet.

Denn leider schaffen es nur wenige, sich selbst aus den Klauen der Täter zu befreien, die sich meist im engsten Familien- und Bekanntenkreis befinden. Z.B. in dem sie in eine weit entlegene Stadt ziehen oder vielleicht sogar auswandern, um den Kontakt abbrechen bzw. auf ein Mindestmaß beschränken zu können.

Aber der weitaus größte Anteil der Menschen, die bei uns Hilfe suchen, haben noch Kontakt zu den Tätern. Müssen vielleicht sogar jeden Abend wieder in die Umgebung zurückkehren, wo sie der Terror des sexuellen Missbrauchs und der Gewalt seit frühester Kindheit begleitet. An der Stelle wird es schwierig für das Opfer selbst und die Helfer, die versuchen das Opfer bei seinem „Befreiungsversuch“ unterstützen.

An dieser Stelle muss man sich bewusstmachen: Sowie sich das Opfer von den Tätern entfernt, haben diese keine Kontrolle mehr. Sie haben etliche Straftaten begangen und müssen sogar fürchten, im Gefängnis zu landen oder wenigstens ihren guten Ruf zu verlieren, sollte etwas über ihre Missetaten in die Öffentlichkeit gelangen. Also starten sie einen Maßnahmenplan, um das Opfer wieder in den Schoß der Familie zurückzuholen und damit wieder die Kontrolle zu erlangen.

Phase 1: Intensive Aufmerksamkeit

Schon bei den geringsten Anzeichen, dass ein Opfer sich von den Tätern loseisen möchte, geht es los. Die Täter sind ja nicht doof, sie spüren es natürlich, dass das Opfer sich so langsam von ihnen abzunabeln beginnt. Denn das ist eine Gefühlssache. Irgendwann kommt das Opfer an einen Punkt, wo es sich sagt, dass es so nicht weitermachen kann und genau das merken die Täter. So wie man vielleicht auch in einer „abgelaufenen“ Beziehung merkt, dass etwas nicht mehr stimmt, aber der Partner darauf angesprochen, beschwichtigt einen, dass doch alles in bester Ordnung ist. Vermutlich hat jeder dieses Gefühl schon einmal kennengelernt.

So ist es auch bei den Tätern. Sie spüren, dass sich etwas im Opfer verändert und versuchen nun auf positive Weise auf das Opfer einzuwirken. In den meisten Fällen, wurde dem Opfer früher keine Beachtung geschenkt und nun wird es mit Aufmerksamkeit geradezu überhäuft. Vorher unmögliche Dinge, vielleicht ein Studium, ein teurer Computer, eine Eigentumswohnung werden auf einmal möglich gemacht. Letztere, die Eigentumswohnung, natürlich in Nähe der Täter und nach Möglichkeit noch mit geparkten Ersatzschlüssel bei den Tätern, damit sie jederzeit Zugriff auf ihr Opfer haben.

Das Opfer, wenn es auf diesen Schritt nicht vorbereitet ist, freut sich natürlich und denkt sich evtl. „so schlimm ist es ja gar nicht.“ „Die haben mich ja lieb, denn sie geben sich solche Mühe mit mir.“ Falsch gedacht. Gibt das Opfer nach dieser Stufe auf, bleibt es im gleichen Dilemma wie vorher stecken. Die Täter gewinnen wieder Oberwasser und kein Studium, Computer, Eigentumswohnung oder was auch immer, ist es wert, dass man sich wieder niedermachen, peinigen und/oder vergewaltigen lässt.

Phase 2: Ausfragen und schlecht reden

Das geht so ein wenig mit Phase 1 Hand in Hand. Die Täter fragen das Opfer natürlich aus, mit wem es sich so trifft, was es so macht und ob es sich den bei den Leuten auch aufgehoben fühlt? „Die führen bestimmt nichts Gutes im Sinn!“ „Blut ist schließlich dicker als Wasser.“ „Die Familie geht über alles.“ Oder: „Die Familie muss immer zusammenhalten!“ Der Feind lauert definitiv im Außen und diejenigen, die sich für das Opfer interessieren, wollen es bestimmt nur ausnutzen.

Phase 3: Entzug der „Aufmerksamkeiten“

Die Sachen, für die die Täter vor ein paar Monaten noch großzügig jede Menge Geld ausgegeben haben, werden auf einmal zurückverlangt. Die finanzielle Unterstützung für das Studium wird gestrichen, der Computer oder die Schlüssel für die Eigentumswohnung müssen zurückgegeben werden. In den Augen der Täter ist das Opfer einfach nur undankbar und wird schon sehen, was es davon hat, wenn es weiterhin auf andere Leute hört und nicht mehr in den Schoß der Familie zurückkehren möchte.

Als aufmerksamer Leser dieser Zeilen vermuten vielleicht schon, dass diese Phase auf den Auszug des Opfers aus dem „familiären Nest“ bzw. der unter Aufsicht stehenden Eigentumswohnung erfolgt. Die Täter sind ratlos. Das Opfer hat sich tatsächlich ihrer Kontrolle entzogen, obwohl man doch vorher so nett, fürsorglich und besorgt um das Wohlergehen des Opfers war. Alle Warnungen vor den Fremden, die das Opfer aus dem sicheren Schoß der Familie reißen wollten, wurden missachtet und nun ist das Opfer frei und kann tun und lassen was es will, ohne das die Täter wissen wie der nächste Schritt aussieht!

…. Es könnte z.B. zur Polizei gehen und dort Anzeige erstatten. Vielleicht raten die neuen Freunde dem Opfer dazu und stärken ihm auch noch den Rücken? Das muss verhindert werden. Also versucht man an die Helfer heran zu kommen, die sich vor das Opfer gestellt haben. Die Helfer werden auf einmal verleumdet. Die haben dem Opfer das schließlich alles eingeredet.

Phase 4: Verleumdung und Bedrohung der Helfer

Die Helfer bekommen auf einmal Post und werden aufgefordert, das Opfer sofort in Ruhe zu lassen, sonst würde man sich an die Presse, Polizei usw. wenden.

Phase 5: Versuch der Kontaktaufnahme zum Opfer

Phase 5 verläuft parallel zu Phase 4. Sollte das Opfer seine Email-Adresse, Telefonnummer usw. noch nicht geändert haben, wird es jetzt aus vollen Rohren mit Nachrichten bombardiert. Wobei sich Schmeicheleien mit Drohungen abwechseln. Für den Fall, dass das Opfer sich in eine Schutzgemeinschaft begeben hat oder mit unbekannter Adresse verzogen ist, wird mit allen Mitteln versucht, die Adresse herauszufinden.

Das Opfer hat nämlich vorgebeugt und beim Einwohnermeldeamt eine Auskunftssperre erwirkt. Aber das schützt es noch lange nicht. Es mag für einige vielleicht unvorstellbar klingen, aber die Täter legen sich auf die Lauer und folgen dem Opfer zu seiner neuen Wohnung. Das kann die Arbeitsstelle, die Uni, die Wohnung eines Freundes / einer Freundin sein. Die Täter kennen das Opfer aus dem Effeff und je mehr Gewohnheiten ein Opfer beibehält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Täter es finden und ihm zum neuen Zuhause folgen.

Phase 6: Persönliche Kontaktaufnahme

Schließlich kommt es zum Showdown und das ist für das Opfer und alle, die evtl. mit ihm zusammenleben ein Schockmoment. Im Briefkasten liegt auf einmal eine Grußkarte. Mit der neuen Anschrift, ohne Absender und ohne Briefmarke! Aber das Opfer erkennt die Schrift. Die Botschaft auf der Karte unverfänglich: „Wir wollten nur mal Hallo sagen und vermissen Dich ganz doll. Liebe Grüße und melde Dich doch mal bei uns“ …

Wie gesagt, der Text auf der Karte unverfänglich. Vor Gericht wird der Richter fragen: „Ja, das ist doch nicht schlimm, was da auf der Karte steht?!“ Schulterzucken. „Das ist doch keine Bedrohung!“

Doch, es ist eine Bedrohung! Denn die Täter wissen jetzt, wo das Opfer wohnt. Und sie scheuen auch nicht davor zurück, zufällig zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten vor der neuen Wohnung aufzutauchen.

Irgendwann eskalieren die Täter dann und versuchen sich Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Schafft es das Opfer, die Polizei zur Hilfe zu holen, ist es oft ein schweres Stück Arbeit den Beamten verständlich zu machen, dass die „liebe Verwandtschaft“, die da vor der Tür steht, das Leben des Opfers bedroht. Nein, das Opfer möchte nicht mit Mama, Papa, Opa, Oma, Bruder oder Schwester sprechen, hat ganz bewusst das Weite gesucht und den Kontakt abgebrochen.

Es ist selbst heute, wo bereits viele Missbrauchsfälle ans Tageslicht gekommen sind, leider nicht selbstverständlich, dass Polizeibeamte sich schützend auf die Seite des Opfers stellen und seine Wünsche respektieren und die liebe Familie der Wohnung verweisen. Leider! Wir würden uns wünschen, dass gerade die Personen, deren Aufgabe es eigentlich von Amts wegen ist, Opfer zu schützen, diesen Opferschutz auch tatsächlich ernst nehmen.

Vielleicht liest ja auch der ein oder andere Polizist, Richter oder Staatsanwalt diese Zeilen und erinnert sich vielleicht an einen Fall, in dem ein Opfer tatsächlich eine solche Vorgehensweise beschrieben hat. Hoffentlich wird Ihnen jetzt bewusst, dass das die Realität ist. Denn dieses Vorgehen haben wir nicht in einem Fall beobachtet, sondern in mehreren Fällen. Viele der Opfer sind irgendwann auf der Strecke geblieben, weil sie keine Kraft mehr hatten, sich gegen die Täter und deren Psychoterror zu wehren. Andere wenden ihren Blick mehrmals über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand folgt. Sie sind nicht verrückt und leiden unter Verfolgungswahn! Sie sind realistisch! Sie waren Opfer und ihre Täter sind noch am Leben.

Solange die Täter noch am Leben oder nicht hinter Gittern sind, sind die Opfer nicht in Sicherheit und müssen ständig auf der Hut sein oder tatsächlich das Land verlassen.

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