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Sein vs. Tun - oder die Frage: wo bin ich in meinem Leben


Wir alle haben diese zwei Aspekte in uns, den des Seins und den des Tuns.

Den männlichen und weiblichen Anteil, den scheinbar aktiven und passiven (aktiv passiv zu sein ist gar nicht so leicht...), den kreierenden und empfangenden.

Gerade in unserer Gesellschaft, die von männlichen Prinzipien dominiert ist, steht das Tun hoch im Kurs. Es scheint eine Gleichung zu geben: wer viel macht, „ist“ viel, hat Wert, hat es „geschafft“…

Das ist das große Ziel. Und daran ist auch erst einmal nichts auszusetzen.


Das Problem beginnt allerdings dann, wenn Menschen, die so wahnsinnig viel Tun – und ich meine damit Gutes tun, viel arbeiten, Familie, Beruf und so vieles mehr unter einen Hut kriegen, zwei oder sogar drei Jobs gleichzeitig meistern, daran krank werden.


Und krank sein beginnt schon in dem Moment, wo uns das alles keinen Spaß mehr macht, wo wir genervt sind, irgendwann gestresst und letztendlich überfordert…

Am Ende haben Betroffene das Gefühl, in einem Rad gefangen zu sein, einem Hamsterrad, einer Endlosschleife, einem Teufelskreis, der oft in einem inneren und äußeren Zusammenbruch endet, einem Burnout, oder zu einem Prozess der schleichenden Entseelung wird, dem schleichenden Grau in Grau, das die Grundfarbe in unserem Leben wird, einem Funktionieren nach Plan, in dem wir das Gefühl haben, selbst nicht mehr am Leben teilzunehmen.


Wo sind wir in all dem, was wir tun?


Wo bin ich in dem, was doch mein Leben sein sollte?


Oft geht diese Entwicklung einher mit einer tiefen Ablehnung des Lebens an sich.

Wenn „man“, die „Umstände“, die „Gesellschaft“ oder wie man auch immer für sich diese äußere Instanz definieren mag, mir alles scheinbar „nimmt“, was mir lieb und heilig ist – allem voran mein Gefühl zu mir selbst, dann baut sich vor mir ein großer „Feind“ auf.


Das Leben wird hart, gemein, ungerecht… und vor allem eines:

Das Leben wird zu einem großen Kampf.


Der beginnt morgens beim Aufstehen, wenn man sich nichts sehnlicher wünscht, alles, nur nicht diesen Tag beginnen zu müssen...

den Widerstand, den wir empfinden, wenn wir zur Arbeit gehen und selbst die sogenannte freie Zeit zum Abarbeiten von Pflichtpunkten wird.


Das Leben verläuft strikt nach Plan, man fühlt sich eingesperrt in einem Korsett, das zwar zum einen Halt gibt, zum anderen aber so einschnürt, dass es uns die Luft zum Atmen und die Freude am Leben nimmt.


Gleichzeitig gaukelt uns ein Teil in uns vor, dass wir alles „richtig“ machen, so wahnsinnig viel tun und somit dem Anspruch (wer auch immer den definiert), gerecht werden.


Eigentlich ein Gefühl von Befriedigung, wenn da nicht diese sonderbare innere Leere wäre, eine undefinierbare Traurigkeit und die schleichende Angst, an seinem eigentlichen Leben vorbei zu leben.


Besonders Betroffene von Missbrauch und Gewalt sind oft stark von dieser Problematik betroffen.

Gerade weil ihr Gefühlsleben so massiv verletzt wurde, flüchten sie vor ihm und stürzen sich in das Tun. Wenn man viel macht, spürt man den Schmerz nicht, könnte die (meist unbewusste) Devise laufen.


Oft haben sie gelernt, den Missbrauch nur so zu überleben, indem sie die Erlebnisse mit Tun zudeckten. Man tut alles nur Erdenkliche, um nicht Fühlen, nicht Sein zu müssen. Das wird oft zur Grundhaltung im Leben bis zu dem Tag, wo Betroffene es satt haben, ohne sich selbst in ihrem Leben zu leben. Oder zusammenbrechen. Eben ausbrennen.


Wenn Missbrauch in der Kindheit stattfindet oder beginnt, einer Zeit, in der sich das Kind noch fast ausschließlich über sein Sein wahrnimmt und definiert, wird genau der Kern der eigenen Identität verletzt. Ein Kind trägt in sich noch das tiefe Wissen, einfach da sein zu dürfen, ohne etwas Tun zu müssen. Einfach wertvoll und wert zu sein, weil es da ist, weil es es selbst ist. Weil es ist. Es fühlt die tiefe Liebe in sich, zu sich selbst, den Mitmenschen und dem Leben, es spürt den Wert seiner selbst, ohne es vielleicht in Worte auszudrücken zu müssen.


Durch missbräuchliche und emotional verletzende Erfahrungen wird dieses Gefühl in Frage gestellt.

"Ich sein" reicht nicht aus, um auch sicher zu sein, um geliebt und gesehen zu werden.


Diese Erfahrung, dass ich nicht genug bin, als kostbarer Mensch für andere Menschen nicht sichtbar bin, brennt sich tief in die Seele ein. Ich reiche nicht aus. Viele von uns machen dann die Erfahrung, dass sie erst dann gesehen, respektiert und geliebt werden, wenn sie etwas machen. Gute Noten nach Hause bringen, es lernen, dem Willen des Täters nachzugehen, sich anpassen und Dinge tun, die sie freiwillig nie getan hätten.


Ein Teufelskreis beginnt, in dem Betroffene immer tiefer in den Sumpf der verletzten, fremden und entarteten Gefühle geraten und sich in sich selbst und in ihrem Leben immer weniger zu Hause fühlen.


Wieder ein Grund, vor sich selbst zu flüchten. Wieder ein Grund mehr, bewusst oder unbewusst zu einem Flucht- und Betäubungsmittel zu greifen. Und eines von den vielen ist die Flucht in die Aktivität.


Für viele ist das „Machen“ auch oft der einzige Bereich, der ihnen blieb, um sich überhaupt ausdrücken zu dürfen. Wenn Gefühle schon tabu waren oder zu verletzt, als dass man sie selbst überhaupt ertragen könnte, dann wenigstens etwas auf die Beine stellen!


So weit, so gut.


Bis eben zu dem Zeitpunkt, wo man ausbrennt.


Sein Pulver verschossen hat und sich fragt: Wozu?

Warum machen ich das eigentlich alles?

Wo ist der Sinn??


Denn man stellt fest: Je mehr man tut heißt nicht automatisch, dass man glücklich wird, man ankommt.

Man rast eher durch seinen Alltag und fragt sich: Wann beginnt eigentlich das Leben? Wo bin ich in all dem hier? Ja, wo ist man?


Oft liegt man noch verletzt und gelähmt genau dort, wo man sich einst hat liegen lassen müssen: In der Vergangenheit bei genau den Ereignissen, die einen so sehr verletzten. Man ist gefühlsmäßig dort, wo man sich verschloss und sich schwor, sich nie wieder, aber wirklich nie, nie wieder, für dieses „Leben“ zu öffnen, das einen so tief verletzte.


Dass das „Leben“ gar nicht wirklich „das Leben an sich“ war, sondern vielmehr einzelne Personen, erkennt man, besonders als Kind, in der Regel nicht. Selbst Menschen, die eine jahrelange Therapie hinter sich haben und ihre traumatischen Erlebnisse soweit aufarbeiten konnten, sind nicht frei von der Gefahr, sich im Tun zu verlieren.


Oft sitzt die Angst vor erneuten Verletzungen oder dem Spüren der alten Verletzung so tief, dass sie automatisch in das Tun gehen, um der „Gefahr“ aus dem Wege zu gehen.

Man lehnt sich selbst als der, der man in Wahrheit ist, ab. Überhört seine innere Stimme, die man irgendwann als „lästig“ empfindet, weil sie einen daran erinnert, wie das Leben wirklich sein könnte, verliert das Gefühl für seinen Körper und seine Intelligenz indem man zu viel, zu wenig oder unbedacht die falschen Dinge isst, sich zu viel, zu wenig oder gar nicht bewegt und sein Innenleben verschließt.


Wenn doch ohnehin kein Platz für einen selbst in diesem Leben ist, warum sich dann überhaupt noch für sich selbst öffnen? In eine Leben, wo sich alles ums Überleben dreht, noch an die schönen Seiten des Lebens denken, die einem doch ohnehin immer irgendwie verwehrt scheinen?


Die Veränderung kann in dem Moment beginnen, in dem wir inne halten und die innere Unzufriedenheit, den inneren Schmerz, die Frustration und Wut zulassen.

Nicht vor ihr in die Arbeit flüchten, sondern sie fühlen.


Da bleiben. Da sind. Sind. Denn genau hinter diesen Gefühlen ist unser „Objekt der Begierde“, ist genau das, wonach wir suchen, weil wir es so schmerzlich vermissen: Da sind wir selbst. In all unserer Kraft, Liebe und Schönheit. Da sind Fülle und Sinnhaftigkeit.


Und genau hier befindet sich der Teil von uns, der einfach „nur“ – und damit gleichzeitig so wahnsinnig viel – ist.


Es ist der Teil, der das Gute in unser Leben anzieht, der empfängt, der die Magie in unser Leben bringt, die wir mit all unserem Tun nicht zu kreieren in der Lage sind.


Der Teil, der offen ist für die Synergien des Lebens, für die sogenannten Zufälle und glücklichen Fügungen.


Es ist der Teil, der weiß, dass er wertvoll ist, dies ausstrahlt und der dementsprechend von anderen wahrgenommen wird.


Plötzlich lehnt man schlechte Angebote ab oder erkennt, dass man mehr wert ist und verdient hat, plötzlich ist man offen, Unterstützung zu erhalten und Gutes in sein Leben zu lassen.

In dem Moment, wo sich unser Inneren wieder öffnen kann, stehen auch die Türen offen, dass das „wahre Leben“ zu uns kommen kann. Und wir erkennen, dass es immer da gewesen ist, um uns herum, wir durch unsere innere Verletzung und Verschlossenheit nur nicht offen waren, es zu sehen, an uns heran zu lassen und anzunehmen.


Stellen Sie sich die Frage: Was gibt mir Wert, was macht mich wertvoll? Das, was ich erreicht habe, was ich tue? Oder das, was ich bin? (damit ist nicht die Berufsbezeichnung gemeint) Das Liebevolle, Verständnisvolle, Helfende, Aufbauende, das ich jeden Tag bin und das mich inspiriert, meine Arbeit zu tun?


Ist es das Tun selbst, das mich wertvoll macht oder mein Gefühl, meine Absicht, mit der ich etwas tue und mit Leben fülle? Ist es das Brot, das ich backe, das Auto, das ich repariere, den Unterricht, den ich halte oder den Kranken, den ich pflege, das mich ausmacht, oder ist es das Leben in mir, sind es meine Gefühle, die durch die Arbeit hindurch scheinen, meine Seele, die sich selbst erfährt und dieses Leben erst schön und lebenswert macht?


Es ist beides.


Und doch steht fest, dass wir nichts ohne unsere Seele sind. Dass wir uns leer fühlen, sinnlos… wie Maschinen, die äußerst effektiv und planmäßig funktionieren, während wir das Gefühl haben, das Wichtigste zu verpassen.


Das Leben selbst.


Und uns selbst.

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