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AutorenbildEl Faro Berlin

Fremdbesetzung

Wie traumatische Erfahrungen durch das familiäre Nahfeld einen Menschen von sich selbst wegbringen, ihn sich selbst fremd werden lassen und eine tiefe, oft unbewusste Zwangsidentifikation entsteht.

Kennen Sie die Momente in denen Sie Verhaltensweisen und Automatismen leben, die nicht die Ihren sind? Dinge unter denen, die im Nachhinein leiden und die Sie an sich zweifeln lassen? Oder haben Sie schon festgestellt wie Sie Meinungen und Regeln, von denen, die Sie seit Ihrer Kindheit lieber aus Ihrem Leben verbannen möchten, unbewusst weiterleben? Vielleicht sogar schon wie ein Zwang? Es ist fast so als würde die eigene Mutter, der eigene Vater oder die nahestehende Person, die eine große Rolle zur Zeit unserer prägenden Jahre gespielt haben, durch uns weiterleben. Und das manchmal, so hat es den Anschein, ohne, dass wir es sofort bemerken und gewisse Lebenssituationen uns mehr als deutlich zeigen, wo wir die Weichen unbewusst in genau die Richtung gelenkt haben, in die wir gar nicht wollten und die im schlimmsten Fall schreckliche Folgen haben. Oder bestimmte Menschen spiegeln uns wider, wie wir den Personen ähneln, von denen wir meinten uns am Weitesten weg entwickelt zu haben.

Wir alle werden von den Menschen geprägt die uns großgezogen haben, die Einfluss auf uns hatten und denen wir gegenüber offen waren und zu Kindheits- und Jugendtagen auch auf eine Art sein mussten, um zu überleben. Die Natur hat uns mit Trotz und Rebellion durch die Pubertät ausgestattet, um uns selbstbestimmt gegen all das aufzulehnen und hinter uns zu lassen, was wir bewusst ablehnen. Jedoch übernehmen wir unbewusst doch sehr viele Mechanismen, Gedanken- und Gefühlswelten, die wir besonders unter Einwirkung von Gewalt und im schlimmsten Fall von sexualisierter Gewalt, als Zwangsidentifikation tief in unserer verletzten Seele verborgen in uns tragen. Verborgen deswegen, weil wir noch tiefer in uns wissen und spüren, dass all diese negativen Introjekte und die unter Gewalt erzwungenen Automatismen, nicht unsere eigene Seele widerspiegelt und diese uns übergestülpte Identität aus unserer Sicht nur zu einem diente: irgendwie, in dieser Welt, aus der wir zu der Zeit nicht entkommen konnten, zu überleben und zu hoffen, dass der Zeitpunkt des Umbruchs kommt, Hilfe naht und wir uns endlich selbstbestimmt leben können.

Natürlich zieht die Traumatisierung, wie sexualisierte Gewalt innerhalb der Familie / des Nahfeldes, die zumeist über Jahre und Jahrzehnte andauert, da sich in den seltensten Fällen die Rahmenbedingungen entsprechend nachhaltig verändern, besonders tiefe Spuren in der Seele nach sich. Betroffene spüren erst nachdem sie in Sicherheit sind, wie weitreichend die Folgen der Fremdbesetzung - das Leben der Anderen, sich auf alle Ebenen des Lebens, des Seins ausgewirkt hat und immer noch auswirkt, wenn wir nicht zu uns selbst zurück finden und uns für die Gefühlswelt öffnen. Es ist die Fremdbesetzung, die Menschen dazu veranlaßt sich gegen ihr eigenes Gefühl zu verhalten, nicht mehr auf sich zu hören und es durch sie verlernt haben auf die innere Stimme zu vertrauen. Traumatisierung durch das Nahfeld im Entwicklungsalter führt zu einer emotionalen Abhängigkeit in dem Wertesystem welches TäterInnen vorgeben. Folglich ist die Fremdbesetzung der Teil der Seele, der die Menschen von ihrem eigenen Weg abhält, sie in die Reinszenierung führt und je länger diese fremdbestimmte Lebensweise fortgeführt wird, umso schwerer wird zwangsläufig der Weg zu sich selbst zurück.

Sprechen wir von Verhaltensmustern wie bestimmte "Marotten", wie beispielsweise, dass die Küche immer picobello aufgeräumt sein muss, da die Mutter früher eine mittelschwere Krise bekommen hat, wenn dem nicht so war oder zum Beispiel vom Kleidungsstil, der erwartet wurde, aber nicht dem eigenen Geschmack entspricht, sind dies durchaus Dinge, die zum Problem werden können. Im Rahmen von sexualisierter Gewalt durch die Familie jedoch, die unter Umständen auch noch bis ins Erwachsenenalter hinter ihrem "Kind" hinterher ist, sprechen wir von lebensbedrohlichen Automatismen. Hier geht es natürlich um wesentlich tiefgreifender Mechanismen, wie die sexuelle Konditionierung auf den TäterIn, die oft bewusst erzeugte Ambivalenz den TäterIn trotz der Taten zu lieben und / oder sie zu schützen aus der konditionierten Abhängigkeit heraus. Ebenso übernehmen die Opfer die Ängste und die Hoffnungslosigkeit der TäterInnen jemals Hilfe zu erhalten oder es schaffen zu können. Frei nach dem Motto: "Wenn ich es nicht geschafft habe und dieses Leben leben musste, dann wirst auch Du es tun. Die Welt ändert sich nicht!" Damit wird überdies das fremdbesetzte Weltbild von Generation zu Generation weitergegeben. Auch die Scham- und Schuldgefühle sind die übertragenen Gefühle des TäterIn. Der betroffene Mensch wird zur Müllabladestation derer, die ihr eigenes unbearbeitete Trauma an ihm ableben und man könnte schon fast sagen sie nutzen ihr Opfer als Art "Therapie" - pervers und krank, ohne Frage. Sie formen aus ihrem Opfer die Person, die für sie das perfekte Gegenstück sind, um all ihre Triebe, die Macht und ihre Bedürfnisse an ihm ableben zu können und das je älter es wird, mit umso weniger zu erwartender Gegenwehr. Denn schließlich weiß das Opfer schon, dass es kein Entkommen gibt und vergisst so im Laufe seines Lebens, dass er sich jemals gewehrt haben könnte oder dass es in diesem Leben auch ein anderes, besseres, freies Leben in Sicherheit, Liebe und Geborgenheit geben könnte. Ein Teufelskreis und einer, der je länger der Täterkontakt aufrecht erhalten wird, zu immer tieferen seelischen, physischen und geistigen Schäden führt.

Aber auch die Verdrängung, die natürlich auch zum Überleben wichtig ist und in der Aufarbeitung leider auch zum Hindernis werden kann, gehört zum Schutzprogramm der TäterInnen dazu. Betroffene schweigen oft ein Leben lang, die Konfrontation mit den verdrängten und so schmerzhaften Gefühlen wird vermieden und der Mensch bleibt damit nicht nur auf der Ebene des Traumas, des inneren Kindes und der Abhängigkeit von den Gefühlen anderer unfreiwillig stehen, sondern läuft auch Gefahr erneut zum Opfer zu werden. Dramatischer Weise unter Umständen auch noch aus sich selbst heraus in dem er der Fremdbesetzung in sich auf den Leim geht und vielleicht liebevolle Gefühle zu den TäterInnen hochkommen, Sehnsüchte, die Angst vor dem Alleinsein oder aber auch die Taten erneut verdrängt werden, um vor sich selbst die Illusion aufrecht zu erhalten. Nicht selten werden in solchen Momenten Helfer losgelassen oder - zurück in den Fängen der TäterInnen - sogar angefeindet. Zum besseren Verständnis, auch wenn es oft ein langwieriger Weg ist, kann man sagen, dass die Gedanken und Gefühle, die einem Menschen nicht gut tun, aus der Fremdbesetzung einspringen und nicht die eigenen sind, wenn sie destruktiv sind und Zweifel an sich selbst wecken. Fortgeschritten kann die Fremdbesetzung in einem Menschen aber auch angenommen werden und damit innerlich verteidigt und rationalisiert werden.

Aber wie erkennt man in sich was man selbst ist und an welcher Stelle man das Leben der Anderen lebt, wenn diese Informationen doch oft von klein auf an in uns eingepflanzt und übernommen wurden? Die Antworten finden sich über das alltägliche Leben, der Selbstreflexion und der täglichen Arbeit an sich selbst hier in Bewegung und innerlich aktiv zu bleiben. Aus dem Bewusstsein, dass wir im Grund alle, auch die Menschen unter uns, die kein schwerwiegendes Trauma erlitten haben, durch unsere Prägung eine fremdbesetzte Seite in uns tragen und es die Aufgabe im Leben ist die bessere Version unser Eltern und derer, die uns negativ prägten zu werden.

Es ist also wichtig Fragen zu stellen, sich zu beobachten, sich in den "Macken" der anderen, die wir so sehr verurteilen unter Umständen in unseren eigenen Unzulänglichkeiten und Hässlichkeiten wiederzufinden, menschlich zu sein und an sich zu arbeiten. Zu lernen die Ängste der Eltern vor Autoritäten oder besonderen Herausforderungen in sich bloßzustellen, zu entlarven und über diese Prägung positiv hinauszuwachsen indem man in sich selbst die Richtung und das Ziel festlegt und sich daran orientiert. Wir definieren uns ab dem Moment bewusst und legen neue Regeln, Prioritäten und damit auch die Realität in uns fest. Wir kommen bei uns an und folgen dem inneren Kompass und lernen uns unserer selbst sicher zu sein und uns in dieser oft eher unsensiblen und gefährlichen Welt für traumatisierte Menschen als die starken Persönlichkeiten zu erkennen, in dem wir uns öffnen und uns nicht hinter einer stark wirkenden und doch eher schwächenden Maske auf den Pfaden derer zu bewegen, die uns nicht wachsen ließen, für sich und ihre Perversionen ausnutzten, willfährig hielten und werden damit zu dem Menschen, der wir immer tief in uns drin waren und werden wollten.

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