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22 sind genau 22 zu viel

Autorenbild: El Faro BerlinEl Faro Berlin

Vielleicht ist der eine oder andere von Ihnen auf Facebook unterwegs und wenn ja, dann wird er vielleicht über Videos gestolpert sein, in denen Menschen 22 Tage lang 22 Liegestützen machten und sich dabei filmten.

Eine dieser Aktionen, die man mitmachen kann, aber nicht unbedingt muss...


Ich bin kein großer Freund solcher Aktionen, in diesem Fall aber schien es mir wichtig, die Sache zu unterstützen, ging es doch um folgendes Thema:


Jeden Tag nehmen sich 22 amerikanische Veteranen das Leben, weil sie an den erlebten Traumata scheitern und als einzigen Ausweg den Selbstmord sehen.

22.

Jeden Tag.

Das ist erschütternd.


Im Rahmen unserer Vereinsarbeit kommen wir immer wieder mit Menschen in Berührung, die so sehr unter den traumatischen Erlebnissen ihrer Vergangenheit leiden, dass sie einen Selbstmord in Erwägung ziehen oder sogar bereits Selbstmordversuche hinter sich haben.


Wie tief muss die Seele eines Menschen verletzt sein, dass er nicht mehr leben will?


Wie groß seine Verzweiflung, dass er keine Hoffnung auf ein schönes oder zumindest lebenswertes Leben mehr sieht?


Sehr groß.


Leider kenne ich persönlich Menschen, die ebenfalls einen Selbstmord in Betracht zogen, weil die überwältigenden Erlebnisse ihrer Vergangenheit so sehr auf ihnen lasteten. Das ist furchtbar.

Besonder für die Betroffenen, aber auch für die Menschen drum herum.


Oft ist die innerseelische Verletzung so tief, dass Helfer, Angehörige oder Freunde gar nicht mehr zu dem Betroffenen vordringen können, weil dieser sich verschloss und von der Welt abwandte.


Gerade für Männer ist es oft besonders schwierig, sich in einer gefühlsmäßig schwierigen Situation offen und verletzlich zu zeigen. Man erwartet von ihnen (besonders von Soldaten bzw. Marines), dass sie "harte Jungs" sind, die mit emotionalen Schwierigkeiten und Problemen irgendwie klar kommen.


Oft haben Menschen, die aufgrund von traumatischen Erlebnissen im Erwachsenenalter den Weg des Selbstmords wählen, bereits in frühen Jahren Traumata erlebt.

Viele mussten diese verdrängen, um überhaupt weiter leben zu können und in vielen Fällen konnten die Erlebnisse nicht aufgearbeitet und die emotionale Verletzung geheilt werden.


Solche Menschen stehen gefühlsmäßig auf wackeligen Beinen, das Fundament ihres Lebens hat bereits Risse und wenn es dann zu weiteren traumatischen Erfahrungen in ihrem Leben kommt – wie zum Beispiel durch eine Kriegserfahrung – dann mischt sich die neue Verletzung mit der alten und ein Sog entsteht, der den Betroffenen nach unten zieht.


Kindliche Ängste mischen sich mit den Erlebnissen der jüngeren Vergangenheit, ein Gefühlschaos entsteht, dem sich Betroffene nicht gewachsen fühlen. Oft schämen sie sich, so „schwach“ zu sein.


Gerade von Männer wird erwartet, Herr über ihre Gefühle zu sein und keine Schwäche zu zeigen. Mehr noch von Soldaten. Männer wählen den Weg in den Selbstmord häufiger als Frauen und ein Grund dafür mag die Schwierigkeit für Männer sein, sich zu ihren Gefühlen zu stellen, über diese zu sprechen und sich Hilfe zu holen.


Gesellschaftliche Zwänge und falsche Vorstellungen und Bilder darüber, wie Man(n) zu sein hat, führen in die innere Isolation, aus der Betroffene oft keinen Ausweg mehr finden.

Ich hatte mich entschlossen, diese Herausforderung der 22 Liegestütze über 22 Tage hinweg anzunehmen, stellvertretend für unseren Opferschutzverein, weil die Thematik aktueller denn je ist.


Immer wieder kommen auch zu uns Menschen, die so verletzt durch den erfahrenen Missbrauch sind, dass sie mit dem Gedanken spielen, ihrem Leben ein Ende zu setzen.


Die Angst, dass es keinen Weg aus dem Chaos und der Verletzung gibt, ist groß.


Der Druck durch die Täter, die ihre Opfer gefügig halten wollen und sie bedrohen, sollten sie es wagen, über ihre Erlebnisse zu sprechen und sich Hilfe holen, ist noch größer.


Ein Teufelskreis entsteht, aus dem es zwar einen Ausweg gibt, den Betroffene aber oft nicht oder nur kaum noch erahnen. Umso mehr fühlen wir uns aufgerufen, dem Thema des sexuellen Missbrauchs, der Gewalterfahrung und Traumata schlechthin eine Stimme zu geben, auch und besonders öffentlich.


Anderen Mut machen durch das Überwinden der eigenen Geschichte ist dabei ein wesentlicher Bestandteil. Wir alle lernen voneinander, lassen uns inspirieren. „Wenn der oder die sich das traut, dann kann ich es vielleicht auch…“ ist da so ein Gedankengang, der ein erster und doch entscheidender Schritt auf dem Weg zurück ins Leben ist.


Das stille Leiden in der Isolation seiner eigenen Innenwelt muss nicht sein und noch weniger das innere Vergiften an dem erlebten Leid, für das man oft alleine keine Lösung findet.


Oft hilft schon das Besuchen einer Selbsthilfegruppe, sich ein Stück geborgen zu fühlen und sich verstanden zu fühlen. Das gilt für Männer wie für Frauen. Und vielleicht fasst man irgendwann den Mut, sich zu öffnen, über seine Gefühle zu sprechen und eine Verbindung zu schaffen zwischen der verletzten, abgeschnittenen Gefühlswelt und dem täglichen Leben und kann wieder atmen, sich freier fühlen und den Prozess der Heilung beginnen.

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