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AutorenbildEl Faro Berlin

Verdrängung - „Stell dir einen Himmel voller Blütenblätter vor und wie sie auf dich hinunter regnen“

Ein Erfahrungsbericht und das Schicksal von vielen!



Der Verdrängung habe ich es zu verdanken, dass ich noch lebe, dass ich nicht schon als Kind elendig an den seelischen und körperlichen Torturen zu Grunde gegangen bin. Ich hätte es nicht verkraftet, da ich den Attacken meiner Eltern und anderer Täter nichts entgegen zu setzen hatte. Wie auch in dem Alter. Durch die Verdrängung wurde ein Rahmen schaffen, eine Erinnerung, ein Bild von meiner Familie, ein Gefühl von Sicherheit, das ein Kind braucht um sich überhaupt entwickeln zu können.

„Ja, mein Gott, Sophie wurde halt immer stiller, müde war sie oft und irgendwie roch sie manchmal aus dem Mund, aber Kinder riechen ja immer etwas merkwürdig, da habe ich mir nichts gedacht. Und blass war sie viel. Aber so ein süßes Mädchen und hat wenigstens Eltern die sich kümmern. Hat sich manchmal ein bisschen zu sehr aufgeregt, aber dann war sie irgendwann ganz ruhig“. So oder so ähnlich sind die Kommentare von Außenstehenden, die mich in der Grundschule mitbekommen haben, Lehrer, andere Eltern.

Die eine Seite der Medaille ist, dass es Kindergeburtstage gab, ich habe zum Geburtstag und zu Weihnachten immer mehrere Geschenke bekommen, es gab immer viel Schokolade und festliches Essen. Meine Mutter hat mir Pausenbrote geschmiert für die Schule und mich für Ausflüge versorgt und mich gefragt wie es in der Schule war, wenn ich nach Hause kam. Sie war bei jedem Elternsprechtag, sie hat darauf geachtet, dass ich die Hausaufgaben mache, ich hatte Hobbys (wenn auch nicht meine eigene Wahl und dadurch Qual), zu denen sie mich hingefahren hat, ich war viel draußen im Garten zum Spielen, im Grünen, es gab Vollkornprodukte und viel Gemüse, ich musste nicht fragen ob ich fernsehen darf oder Süßigkeiten essen und in den Sommerferien waren wir im Urlaub. – „Mensch, dann hattest du ja alles, was du gebraucht hast. Worüber beschwerst du dich eigentlich? Andere verhungern fast, verwahrlosen, weil die Eltern sich nicht kümmern. Ich meine du hattest doch alles und deine Eltern wirkten auch noch besorgt um dich.“

Ja, das stimmt. Ich hatte alles, ich hatte die volle Ladung im doppeldeutigen Sinne. Materiell, ideell gesehen hatte ich eine Versorgung. Aber ansonsten erlebte ich die Hölle. Und ja, sie waren besorgt. Nur nicht um mich, sondern darum, dass etwas auffällig wird. 23 Jahre lang habe ich verdrängt, endlos lange Jahre habe ich mich fertig gemacht dafür, dass ich krank bin, dass ich mir selbst keinen Wert gebe, dass ich mich scheinbar selbst zerstöre, dass ich im Leben nichts auf die Reihe bekomme, dass ich immer nur Probleme und Sorgen bereite, dass ich mich zu Tode hungerte scheinbar ohne Grund, sozial total blockiert schien, dass ich wieder mal zu laut und rücksichtslos war, - dass ich einfach ein Fehler im System zu sein schien.

Und dann entdeckte ich das, was ich verzweifelt nicht verstanden hatte, das was verantwortlich war dafür, dass ich nicht mehr leben wollte, dass ich mich als Jugendliche fast zu Tode gehungert hatte, dass ich Drogen ausprobierte und auf einer Bushaltestelle übernachtete, dass ich anfing teils auf der Straße zu leben, dass ich mit dem Fahrrad nachts auf Hauptverkehrsstraßen in der Großstadt lebensmüde über die Straßen jagte, dass mir mein Herz gefühlt aus der Brust sprang und ich kollabierte wenn ich danach vom Rad abstieg und abends durch Clubs zog, weil ich dachte nur dort im knappen Outfit Bestätigung, Aufmerksamkeit, Zuwendung zu bekommen. „Ich bin ein Fehler im System, ich bin falsch“, das war ein Glaubenssatz nach dem ich lebte. Ich wurde lebensmüde und verhielt mich auch so und ich war mir auf eine Art scheißegal. Weil ich mein Leben nicht verstand, ich verstand mich nicht, verstand nicht wieso ich so war wie ich war, gefangen in mir selbst, wollte leben, lebendig sein, aber es ging nicht und der Frust und Hass darüber richtete sich gegen mich selbst, weil ich nicht wusste gegen wen er sich eigentlich richtete, die Wurzel des Übels. Ich verdrängte es ja. Ich war alles nur nicht ich selbst und das spürte ich und litt darunter und wünschte mir oft dass es vorbei sei.

Die Verdrängung ist ein lebenswichtiger Mechanismus der Psyche, um nach traumatischen Erlebnissen weiter leben zu können. Es ist so wie ein Filmriss, ein Text bei dem bestimmte Sequenzen geschwärzt sind und du siehst sie nicht. So ergibt sich ein ganz anderes Bild. Du hast vielleicht ab und zu ein komisches Gefühl, eine Anwandlung, es bricht ab und zu etwas hindurch, wie ein Blitzlicht. Aber im Grunde liest du halt ein Drehbuch, das kindgerecht aufbereitet wurde. Das was nicht altersgerecht ist und Schäden anrichtet – gestrichen. Damit ist alles gestrichen was schweren sexuellen Missbrauch ausmacht: Pervertierte sexuelle Gefühle, Hass, Zerstörung, massiver Druck und Gewalt, Bestrafung bei Regelbruch, Ausbeutung des Kindes, Schmerzen, Schreie, Todesangst, verdrehte Gefühle (z.B. Schuldzuweisungen, „Du willst es doch auch, dir gefällt das doch“), ein zerfetzter, aufgerissener Gemütszustand. Das ergibt dann doch eine „Welt – wide, wide wie sie mir gefällt!“, ähnlich jener in den Kinderromanen von Astrid Lindgren.

Viele, viele Menschen leben in der Verdrängung und man mag sich die Frage stellen ob das denn schlimm sei? Sie wissen ja schließlich nicht was passiert ist und wirken nach außen hin nicht unbedingt gelitten, schwer traumatisiert, unglücklich. Vielleicht geht es ihnen ja sogar besser so. Hat man mich z.B. zwischen 15 und 23 Jahren gesehen, konnte man auch bei mir nur zwischen den Zeilen lesen und die Wahrheit ist, dass viele es auch nicht sehen wollten, auch verdrängt haben. Offensichtlich war es nur auf körperlicher Ebene: Magersucht mit Diagnose bleibende Organschäden bis Tod. Hätte man in mich hinein gespürt, eine Gefühlsoffenheit mir entgegen gebracht, so hätten sich all die Abgründe aufgetan, das ganze Leid wäre spürbar gewesen und der Ursprung. Aber wir leben in einer Logik geprägten Welt, in denen die Menschen vor den Gefühlen die nicht zu der Liebe, Harmonie, Fröhlichkeit, Höflichkeit, Korrektheit usw. passen, Angst haben.

Eine ebenfalls Betroffene mit der ich mich austauschte, die durch die eigene Familie regelmäßig vergewaltigt und auch prostituiert wurde sagte einmal: „naja, wenn ich mitmache, dann ist es weniger schlimm, als wenn die die ganze Zeit Druck machen und ich am Ende dann bestraft werde, weil ich nicht gehorche und die ganze Zeit an diesem Psychodruck durchdrehe. Danach hört wenigstens der Druck auf und ich denke mir immer: Ich habe das jetzt schon so oft erlebt. Das werde ich jetzt auch noch überleben.“

Leidvoll musste ich erleben: Ja, es ist schlimm, wenn man in der Verdrängung bleibt. Als erwachsener Mensch, als der man doch selbstbestimmt, unabhängig, autark, stark sein will und muss ist es schlimm. Denn all das kannst du nicht sein als Opfer sexuellen Missbrauchs, wenn du nicht deine Vergangenheit bis hin zum kleinsten Mechanismus aufdeckst, aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein holst. Denn ansonsten läufst du Gefahr immer wieder Opfer zu werden. Der Schaden in dir nimmt immer weiter zu, wie ein Glas gegen das man schlägt. Zu Beginn ein Knacks – und irgendwann bricht es auseinender! Du verdrängst es dann wieder, um zu überleben, aber dir entgleitet dadurch immer mehr die Kontrolle und Macht über dein Leben. DEIN Leben! Andere bestimmen über dich und du stehst auch noch als der letzte Volldepp da, der keine Ahnung von nichts hat danach. Bei mir war es so. Ich wurde wieder und wieder Opfer, auch von Trittbrettfahrern, die meine Verletzungen, meine Unfähigkeit mich abzugrenzen und zu verteidigen und selbstsicher zu sein ausnutzten. Und ich stand kurz vor der Psychiatrie. Hätten bei diesem Mal diese Unmenschen mehr Zeit gehabt oder mich noch einmal zwischen die Finger gekriegt, ich wäre in einer schweren Psychose gelandet und in der Psychiatrie.

Verdrängung hat viele Gesichter. Verdrängung raubt dir Lebensqualität. Die verdrängten Gefühle und Erlebnisse belasten dich und das ständige runterdrücken und deckeln der Gefühle, die raus an die Oberfläche wollen, kostet Kraft. Dann fühlt man sich oft energielos und KO.

Verdrängung macht einen manchmal auch marmelig im Kopf. Das heißt man kann nicht klar denken, man spürt sich nicht richtig, man ist zerstreut, unklar in sich, abgeschnitten von den eigenen Gefühlen und Empfindungen.

Verdrängung hat auch den Effekt, dass du perfekt funktionierst. Ich wurde nachts vergewaltigt und bin morgens in die Schule gegangen. Niemand durfte mir das anmerken, dafür hat meine Mutter gesorgt. Später wurde ich nachts unter Drogen gesetzt, verschleppt und brutal vergewaltigt. Am nächsten Tag bin ich zur Arbeit gegangen. Klar war ich fertig, mir war schwindelig u.U. Aber hätte ich nicht die körperlichen Schmerzen und den seelischen Schaden verdrängt ins Unterbewusste, dann hätte ich gar nichts mehr hinbekommen.

Und so läuft im Erwachsenen Alter das Prinzip der Kindheit weiter. Die Schneidewerkstatt deines Lebensfilms arbeitet mit den gleichen Mitteln, wie es dir beigebracht wurde. Meine Mutter hatte es mir so vorgelebt und die Verdrängung auf ihre Art gefördert und gelenkt, denn sie wollte sich auch die heile Familienwelt vorgaukeln. Nachdem ich übel zugerichtet wurde durch meinen Vater befand ich mich psychisch in einem jenseitigen zustand, hatte das Gefühl innerlich auseinander zu fließen und mich zu verlieren. Ich hätte wirklichen Seelenhalt gebraucht und eine Mutter die Verantwortung übernimmt. Sie sagte zu mir, dass es mir bald besser gehen würde, gab mir Schmerzmittel, versorgte die Wunden. Sie streichelte mir über den Kopf und sagte: „wenn ich mich nicht beruhigen kann, dann stelle ich mir vor wie ich hoch gucke und ein Windhauch durch den Baum zieht und dann die Blütenblätter auf mich herunter rieseln oder die Schneeflocken, wenn man in den Himmel raufguckt wenn es schneit. Das hat etwas meditatives“. Ja. Das war ein Halt. Aber die Wahrheit hielt auch sie nicht aus und wollte es auch nicht und so war eine Auflösung des Traumas unmöglich. Über ihre Pseudowelt die sie absolut wasserdicht nach außen halten wollte, hielt sie auch mich gefangen in der Maskenwelt. In der Welt in der ich eine schöne Kindheit hatte, ein Kind war, dass eigentlich nie Probleme gemacht hatte und immer sehr anhänglich war. Eine Welt in der Missbrauch, Gewalt, Zerstörung keinen Platz hatten. Ich sollte sie am besten in diesem Realitätsfremden Lügenkonstrukt auch noch bestätigen. Ich blickte ja selber nicht mehr durch und ohne die Hilfe anderer würde ich das auch heute nicht.

Ich habe mich entschieden, dass ich die Wahrheit in mir finden will. Lückenlos, auch wenn immer wieder neue schockierende Dinge mir klar werden. Die Konfrontation mit der Realität mag manchmal hart sein und fällt mir nicht leicht. Deshalb brauche ich Hilfe. Aber es ist befreiend. Ich verstehe mich, ich spüre mich, ich kann Konflikte auflösen und lasse mich nie wieder verarschen von irgendjemandem, der eine gute Miene zu einem bösen Spiel macht. Ich lebe und bin nicht wie das Schaf, das im Wolfsrudel umherrennt, als gäbe es keine Gefahr. Und das ist möglich, es ist nicht so schwer, man muss den Glauben an sich selbst wieder finden. Du kannst alles schaffen, wenn du entscheidest, dass du wieder deines Lebens mächtig werden willst. Keiner hat das Recht über dich zu bestimmen und zu entscheiden und Macht über dein Leben auszuüben! Deswegen kämpft um euch, kämpft um euer Leben und ihr werdet euch selber wiederfinden! Die Antworten liegen in euch selbst, meine Antworten liegen in mir selbst. Es kann doch niemand anders mein Leben für mich aufräumen. Und es ist wie ein Augenöffnen.

Und ich bin entschlossen, dass ich nie wieder verdrängen will. Ich muss es nicht mehr. Als Erwachsene bin ich mittlerweile stark genug nicht zu verdrängen, sondern zu kämpfen. Es gibt immer etwas was ich tun kann und ich spüre lieber, was sie mir angetan haben, um den Schmerz und die Wut die daraus entstehen zu nehmen, um mir trotzdem ein Leben aufzubauen.

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