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Hass erlaubt?! Verbotene oder notwendige Gefühle eines sexuell missbrauchten Menschen?!

Aktualisiert: 15. Aug.


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Hass – ein furchtbares Wort und sicher eines, welches besonders Selbstbetroffene nicht in ihrem Alltag benutzen möchten, denn schließlich gibt es schon mehr als genug davon auf der Welt. Stellt man sich jedoch einen Menschen vor, der sein eigenes Kind oder ein Kind, welches ihm zum Schutz anvertraut wurde, emotionale, körperliche und im schlimmsten Fall sogar sexuelle Gewalt antut, ja es vergewaltigt und systematisch sexuell ausbeutet und sogar verkauft, was löst das in einem aus? Reicht da das Wort Aggression, Wut, Ärger, Empörung oder Zorn?


Und ist es nicht so, dass die Vorstellung, dass ein Fremder oder eine Fremde dies einem Kind antut, es einen also nicht selbst betrifft, noch mehr innere Raserei auslöst?

Ist es nicht auch für Selbstbetroffene leichter, sich stellvertretend für die sexuell missbrauchten Kinder, die weit weg von ihnen durch die Medien auftauchen, aufzuregen und Partei zu ergreifen als für sich selbst und gegen die eigenen TäterInnen? Hier ist die Erklärung für Fachexperten einfach, denn Gegenwehr bedeutete für einen entwicklungstraumatisierten Menschen, wir sprechen also von Kindheit und Jugend, in der Vergangenheit noch mehr Schmerz für sich oder die Liebsten. Somit ist Verteidigung und jegliche Form der Abwehr von Gewalt für sich selbst in der Regel mit starken Ängsten, bis Todesängsten verknüpft, wodurch der oder die TäterIn sich sehr sicher sein kann, dass das Opfer in die Passivität und in den Schutzmechanismus der Dissoziation flüchtet. Zu viele Verbote und Drohungen, die ihn gelehrt haben, dass die eigene Abwehr und Gegenwehr nichts bringt außer erneutes Leid und Schmerz. Gegenwehr bedeutet Gefahren und Konsequenzen, die nicht selten mit Todesdrohungen, seitens der TäterInnen, belegt werden und die sich tief in den Betroffenen über die Jahre und Jahrzehnte gefestigt und abgespeichert haben. Einem Kind Angst und Schrecken einzujagen ist mehr als leicht und es ist schnell in seiner Existenz bedroht.

Dieses Gefühl zieht sich bis ins Erwachsenenalter durch und wird immer wieder aktiviert, wenn der Mensch in eine Situation gerät, die ihm unterschwellig einen Rückblick auf diese kindlichen Existenzängste gibt. Automatismen, auf die der Betroffene keinen echten Einfluss nehmen kann. Kleinste Erfahrungen, die mit Überwindung und Durchsetzung zu tun haben, grenzen an diese bedrohlichen Ängste und versetzen den Betroffenen in die Schockstarre von einst. Handlungsunfähigkeit und Lähmung setzen ein, so dass sich auf diese Weise die Erfahrung unbewusst und damit unkontrollierbar immer und immer wieder wiederholt und festigt.

 

Nur sprechen wir hier nicht „nur“ von Durchsetzungsschwierigkeiten beim Bäcker in der Schlange, in der sich mal wieder der Nachbar vordrängelt, da er weiß, dass das kleine, graue Mäuschen von nebenan sich nicht wehren wird und er so seinen Tag rettet, indem er kurzfristig Macht über einen anderen Menschen hat. Eine Befriedigung, die er vielleicht sonst in seinem Alltag nicht findet. Nein, wir reden hier von dissoziativen Momenten, in denen der Betroffene, das Opfer von einst, in seinen betäubten, traumatisierten Anteil fällt und so jeder, eben auch der üble Nachbar, der bereits ein alter Mann sein kann oder auch der kleine, freche Nachbarsjunge, Macht über den Betroffenen und seine Gefühlswelt ergreifen kann. Ein fataler Mechanismus, der in dem Kindheitstrauma begründet ist und der sich tief ins Unterbewusstsein eingeschliffen hat.

 

Wenn noch Täterkontakt besteht:

Gibt es in dem Leben des Betroffenen nun auch noch Kontakt mit den TäterInnen von einst, wird dieser Mechanismus allein durch die Anwesenheit immer und immer wieder aufrechterhalten und dies nicht selten auch durch erneute Übergriffe in unterschiedlichster Weise. Aber auch Trittbrettfahrer, die ähnliche Absichten hegen, ergreifen im schlimmsten Fall die Macht, indem sie unbewusst oder auch bewusst in die tätermanipulierten Gefühlsmechanismen des betäubten Opfers einsteigen. Viele Betroffene berichten, dass dieser Zustand einer Hypnose ähnelt. Sie fühlen sich wie ferngesteuert, wie einer Marionette gleich, ohne jegliche wirkliche Kontrollmöglichkeit. Sind diese Mechanismen nicht bewusst für den Betroffenen kontrollierbar, ist die Gefahr sehr groß, dass diese, oft zu frühester Kindheit geschlagene Achillesferse, von anderen kontrolliert wird und er so erneut zum Opfer gemacht werden kann.

Die Ohnmacht der Opfer ist die Macht der TäterInnen.

 

Die ewige Schuldfrage

Ganz klar liegt die Schuld dieser Verhaltensweise des Betroffenen nicht bei ihm selbst, sondern bei denen, die ihm diese Verletzung und diesen „blinden Fleck“ zugefügt haben. Wohlgemerkt als Kind blieb dem Betroffenen nichts anderes übrig, als zu verdrängen und bestimmte, von Natur gegebene Abwehr- und Schutzmechanismen, auf die ein Mensch reflexartigen Zugriff hat, konnten sich gar nicht erst entwickeln. Zu früh wurden sie im Keim erstickt und es begann eine „Normalität“, die alles andere als das war. Das Kind und der heranwachsende Mensch lebte gezwungenermaßen das Leben der anderen und durch die immer wiederholte Traumatisierung wurde er zu einem Halbtoten, einem Erwachsenen, dem der Zugang zu sich selbst blockiert und betäubt wurde, der Angst vor Gefühlen hat und der deswegen nicht ausreichend im Stande sein kann, aus sich selbst heraus zu agieren, so wie es von Natur aus vorgesehen ist. Betroffene werden bei frühem Erleben durch den Tatort Familie im Entwicklungsalter von sich selbst weggebracht und schalten, um zu überleben, quasi ab und verdrängen das Erlebte.

 

Dissoziation als Abschaltmechanismus, um zu überleben

Auch wenn es für einige vielleicht weit hergeholt scheint, so beschreiben den „Abschaltmechanismus“ viele Betroffene ähnlich der Hypnose. Natürlich ist dieser Schutzmechanismus der Seele psychologisch über den psychischen Schockzustand zu beschreiben und der Mensch fällt in den sogenannten Freeze Zustand – ein seelischer Notfall, der diesen lebensrettenden Schutzmechanismus hervorruft. Die Angst, die zur Lähmung wird, übermannt ihn und der Schutz wird gleichzeitig durch den Kontrollverlust zur Gefahr. Angst ist die Eingangstür für jeden TäterIn, da kein TäterIn der Welt sich mit einem Stärkeren anlegen würde und er oder sie die Garantie der Dissoziation braucht, um einer Strafverfolgung entgehen zu können. Aus diesen Gründen ist es für die nun erwachsenen Betroffenen so wichtig, sich diesen so tief verankerten und komplexen Ängsten zu stellen, um sie durch die Bewusstwerdung kontrollieren zu lernen – also stärker und im Notfall aggressiver als die TäterInnen zu werden, um bei klarem Bewusstsein handlungsfähig die angemessenen Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen einleiten zu können.

 

Entweder du gehst bewusst durch die Hölle oder die Hölle geht unbewusst durch dich.

Bleibt man bei dem Beispiel der Hypnose, so weiß man, dass ein Mensch sich nur hypnotisieren lässt, wenn er dem innerlich zustimmt, also sich auf die Hypnose einlässt. So ähnlich oder vielleicht genauso ist es auch in der Aufarbeitung des „Abschaltmechanismus“ bzw. der traumatisch bedingten Dissoziation.

„Aber ich habe doch keinen Abschaltmechanismus, ich weiß doch, was ich tue!“ – Worte einer Selbstbetroffenen, die ihren familiären sexuellen Missbrauch über dreißig Jahre verdrängen musste.

Aus meiner eigenen Erfahrung habe ich gelernt, dass all die Geschehnisse meiner Vergangenheit, die ich über dreißig Jahre verdrängen musste, dazu geführt haben, dass ich sehr wohl Opfer von Dissoziationen war, auch wenn ich mich nicht bewusst daran erinnerte. Im Rahmen meiner Aufarbeitung, die ich in meinem persönlichen Fall nur in Kombination mit Opferschutz nachhaltig beginnen konnte, stellte sich ein erschreckendes Bewusstsein ein, dass ich aus meinem Trauma heraus - dem inneren Kind - bereits auf ganz bestimmte Gefühle, die mir entgegengebracht wurden, in die Handlungsunfähigkeit geriet. Dieses Phänomen war, obwohl es so lange ein entscheidender Teil in meinem Leben war, neu für mich. Schließlich wurde es mir erst jetzt bewusst und ich stand vor der Wahl, mich wieder zu verschließen oder mich meiner schmerzhaften Realität bewusst zu stellen. Die trügerische und gefährliche Illusion der alten Welt war noch sehr nah und entsprechend verlockend. Erst im Rahmen des Schutzes, der Gewissheit, dass kein Täter oder keine Täterin sich Zugang zu mir verschaffen konnte, war ich bereit, mich so tief für mich und mein Inneres zu öffnen, obwohl es mir gleichzeitig eine riesige Angst machte. Die Gefahr wäre für mich zuvor viel zu groß gewesen und allein ohnehin für mich nicht möglich.

Nun erst erkannte ich meine Reaktionsweisen, wenn mir jemand auch nur körperlich zu nah kam, mich liebevoll umarmen wollte und ich in unterschiedlichsten Situationen nicht im Stande war, nein zu sagen. Auf einmal ertrug ich Dinge nicht mehr, die mir vorher normal schienen und ohne jegliche Gefühlsregung in der mich schützenden „Wattewelt“ der Dissoziation möglich waren. Meine Wahrnehmung für mich selbst und andere schärfte sich und ich bekam ein Gefühl zu meinen Ängsten.

Aber verdammt, ich war dreißig, ich konnte doch nicht solche Ängste haben!? Ängste einer gefühlt Vierjährigen? Ernsthaft? Nein!

Durch die Ermunterung meiner Helfer und anderer Selbstbetroffener öffnete ich mich weiter, erkannte, was hinter diesen Ängsten steckte. Denn es waren, meiner schrecklichen Prägung und Vergangenheit entsprechend, auch sexuelle Gefühle und Aggressionen, die mich ängstigten und mich innerlich abschalten ließen. Wenn auch nur die Möglichkeit bestand, dass jemand autoritär oder aggressiv reagieren könnte, geriet ich innerlich in Panik, da es mich an Schläge, sexuelle Übergriffe und verbale Attacken erinnerte. Ablehnung und „Zuviel sein“ wurde ein Thema. Eines, welches mich schon immer begleitete, nun aber bewusst von mir in der Intensität wahrgenommen wurde, in der ich es damals vor so vielen Jahren erlebte, nicht zulassen und verarbeiten konnte. Nichts war mehr selbstverständlich aus dieser Perspektive. Es war erschreckend, was ich alles verdrängt hatte und wie wenig am Ende eigentlich von mir übrigblieb. Es schien mir, als hätte ich mein Leben praktisch seelenlos, weil gefühltot und durch meine Eltern als Täter fremdgesteuert, gelebt. Und doch war es so wichtig all das nochmal zu durchleben, zu spüren und richtig miteinander zu verknüpfen, auch wenn es oft surreal schien und unwirklich aus der Sicht der erwachsenen Frau in mir.  Eine Psychiaterin, zu der ich zur Begutachtung musste, fragte mich, warum ich mich auf so intensive Weise mit dem Thema beschäftige und ob eine Maltherapie oder ähnliches mit Kontakten zu nichtbetroffenen Menschen nicht hilfreicher wäre. Ich antwortete darauf, dass ich dreißig Jahre meines Lebens einen alles entscheidenden Teil von mir verdrängen musste und mein Leben dadurch nie richtig verstehen konnte, nicht wusste, wer ich bin und was mich ausmacht – in meinen Schwächen und Stärken und dass ich zurzeit nicht anders kann. Meine damalige Bedrohungslage spielte ebenso eine entscheidende Rolle und meine Bedürfnisse konzentrierten sich einzig und allein auf das Erlangen meiner inneren und äußeren Sicherheit, die existenziell für meine späteren Lebenswünsche wie Reisen, Leben, neue Erfahrungen und Leichtigkeit waren.

 

Akzeptanz des „inneren Kindes“ und das Spüren der Wut und des verdrängten Hasses

Ich lernte mich kennen, mein inneres Mädchen, welches im Nirgendwo meines Unterbewusstseins jahrzehntelang sein Dasein fristete und darauf wartete, befreit zu werden. Dies bedeutete Akzeptanz, Verständnis und Annahme. Ich war gefragt, Verantwortung für mich und mein Leben und die so lang verdrängten Gefühlswelten zu übernehmen. Es war die Form von Verantwortung, die ich nie durch meine Eltern bekam, mein Leben lang zwangsläufig bei anderen suchte und ersetzen wollte. Dass dies mit einem solch schweren und unverarbeiteten Trauma nicht gelingen konnte, wurde mir dann auch nach und nach klar. Daher lernte ich durch Selbstverantwortung, auf eine gewisse Weise mir meine Mutter und meinen Vater selbst zu ersetzen, indem ich für mich da war, einen Pakt mit mir schloss und mir klar machte, was ich, der lebenslangen zerstörerischen Bedingungen zum Trotz, alles für mein Überleben getan habe.  Erst dadurch erlangte ich meinen Selbstwert zurück und erst durch das Erkennen meines Wertes machte es für mich in all der Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit überhaupt erst Sinn, für mich zu kämpfen. Auf einmal hatte ich etwas zu verlieren! Auch die Erkenntnis, dass alles in meinem Leben, was nach der kindlichen und jugendlichen Gewalt geschehen ist, immer wieder auf das ursprünglichste Trauma und damit auf den kleinsten, und damit verletzlichsten Anteil in mir zurückzuführen war, war insofern wichtig, weil ich darüber sah, dass ich weder Schuld noch Schamgefühle empfinden musste.

Ich war ein Kind, welches durch die stetig weitergeführte sexualisierte Gewalt durch meine Eltern und Großeltern dauerhaft bis ins Erwachsenenalter traumatisiert und retraumatisiert wurde. Welche Chance hatte ich als bereits innerlich gebrochene Jugendliche die Kraft aufzubringen auszubrechen, wenn weit und breit keine Hilfe in Sicht war, die Scham- und Schuldgefühle unermesslich waren sowie die Todesängste, die ich mehr als einmal zu spüren bekam, wenn ich mich doch mal etwas wagte? Ich hatte aufgegeben und stand mit dreißig, als ich durch den Tod meines Vaters endlich frei war, am Ende meiner Kraft mit Suizidgedanken.

Nun aber war echte, gefühlte Abgrenzung möglich und ich spürte meine Wut und Kraft. Auch die Vorwürfe, die mich quälten, nicht vorher einen Ausweg gefunden zu haben, Schiffbruch mit meinem Leben erlitten zu haben und ähnlich selbstzerstörerische Gedanken, konnte ich erst durch dieses tiefe Verständnis und die Öffnung für mein „kindliches Ich“ loslassen. Es ist schon manchmal verrückt - im wahrsten Sinne des Wortes - wie sehr man sich selbst vergisst, weil man den Schmerz sonst nicht ausgehalten hätte und seine Vergangenheit nach dem Maßstab der Erwachsenen beurteilt und misst, die einem den Schmerz angetan haben. Eine fatale und erlösende Erkenntnis zugleich, mit der sich die Selbstvorwürfe und die Selbstkasteiung auf ein gesundes Maß verringern ließen.

 

Meine Macht als Opfer und Überlebende und Kämpferin

Nach und nach konnte ich mit konstanter und liebvoller Hilfe die Prägungen, Verbote und Maulkörbe der TäterInnen nicht nur erkennen, sondern auch auflösen, indem ich lernte, mich und meine Gefühle, die konditionierten und die eigenen, zu verstehen und kontrolliert für mich und mein Umfeld gesund auszuleben. Es war in Ordnung zu weinen, den Schmerz zuzulassen, den Frust, die Trauer und auch die Wut und ja, auch den Hass auf meine Eltern, meine Familie und all die MitwisserInnen und Ignoranten, die mich sehenden Auges zerstörten, opferten, aufgaben und sich damit ebenso schuldig machten. Das Recht anzuklagen war neu für mich und so wichtig für meine Persönlichkeitsentwicklung und zur Zurückerlangung meiner Authentizität, meiner Selbst, meiner Grenzen, meiner Würde und nicht zuletzt meiner Gesundheit, meines Lebens.

Wenn es äußerlich über das Rechtssystem nicht möglich war, so war es umso wichtiger es mir zu erlauben dies innerlich für meine psychische Gesundheit und mein inneres Wachstum zu tun. In meinem Fall, da meine Eltern und Großeltern alle verstorben sind, war der rechtliche Weg, neben anderen Gründen, ausgeschlossen und dieser allein hätte mich auch nicht vor den Schritten der zuvor beschriebenen inneren Abgrenzung bewahrt.

Selbstverständlich war es wichtig allen Gefühlen, die jahrelang in mir gestaut und verborgen waren, ein gesundes Ventil zu geben, aber um den alles entscheidenden Abschaltmechanismus kontrollieren zu können, mich also nie wieder in die Dissoziation und die seelischen Abgründe treiben zu lassen, war für mich das innerliche Zulassen der so langen verbotenen Wut und des aufgestauten Hasses auf meine Eltern und alle, die in irgendeiner Weise beteiligt waren, lebenswichtig. Ich wollte leben und einen gesunden Umgang mit den traumatisch bedingten Gefühlswelten finden, auf allen Ebenen. Das Ziel war: ich will nie wieder Opfer werden, aber auch niemals durch die aufgestaute Wut und Lebensfrustration zur Täterin, wie meine Eltern und andere. Die Spirale der Generationsproblematik meiner Familie, der daraus entstehenden Erkrankungen und Problematiken sollte mit mir ein Ende finden.

Es war ein Schwimmen gegen den Strom, denn bei allem Bewusstsein, was meine Eltern mir angetan hatten, ging es dennoch gegen meine Natur, die eigene Familie zu hassen. Ich trotzte meiner Hemmung, verstand ich doch, es war wichtig, wollte ich lernen, mich künftig nicht nur abzugrenzen und mich von den Konditionierungen zu befreien, sondern auch mein Leben zu verteidigen. Ein existenzieller Punkt, da ich nach wie vor bedroht und verfolgt wurde und wenn ich diesen verfluchten Abschaltmechanismus nicht in den Griff bekommen würde, dann war alles umsonst. Das durfte nicht geschehen, jetzt da ich mich nun endlich selbst spürte verstand, dass ich keine Schuld trage und die Chance auf ein echtes Leben danach hatte. Darauf galt es aufzupassen, mit allem, was nötig war. Ebenso wusste ich, die, die mich zum Schweigen bringen wollten und mich lieber als psychisch krank abgestempelt und gesehen hätten, würden ihrerseits alles tun, um mich im richtigen Moment erneut einzuschüchtern und mundtot zu halten.

 

Umgang mit Ängsten im Alltag

Gegen meine Angst half nur das Gefühl der Aggression. Spürte ich Angst in mir, wegen einer scheinbar banalen Alltagsituation, lernte ich, in die Aktivität, also in die Aggression zu gehen. Damit blieb ich bewusst und trainierte Handlungsfähigkeit, die mich jederzeit eine innere Entscheidung treffen ließ. Am Anfang schien dies unmöglich, aber ich lernte, es funktioniert. Auf einmal hatte ich Macht über meine Gefühle und konnte entscheiden, ob ich in die Depression und das traumatisierte Kind gehen wollte, das hilflose, weinende und verzweifelte Mädchen also, oder in die Erwachsene, die sich schützend vor das verängstigte Mädchen stellte, um sie zu beschützen, indem ich wütend darüber wurde, dass ich diesen verdammten Mechanismus durch die TäterInnen in mir trug und sich jemand erdreistete, diesen für sich auszunutzen. Mehr und mehr lernte ich, Verantwortung für mich selbst zu übernehmen und das Gefühl, Macht und Sicherheit über das eigene Leben zu erlangen. Es war einfach großartig und für mich kaum zu glauben, dass dies auf diese Weise für mich möglich sein würde. So baute sich in mir ein neuer Mechanismus zu meinem Schutz auf.

Sätze wie:

„Ich lasse nicht mehr zu, dass mir irgendjemand Angst macht!“

„Ich bestimme mein Leben!“

„Ich werde alles dafür tun, um nie wieder Opfer zu werden!“

„Ich werde niemals den Weg der TäterInnen gehen und verantwortungsbewusst und menschlich sein!“

„Ich habe das Recht, mich und mein Leben zu schützen und zu verteidigen!“

 

Gesetze wie der Notwehrparagraf und das Grundgesetz bekamen Bedeutung und meine, durch die TäterInnen auf den Kopf gestellte Welt, bekam wieder die richtige Ordnung. Grenzen zu ziehen, sie wieder aufzubauen und auch bei meinem Umfeld zu respektieren, sensibler, menschlicher und rücksichtsvoller zu werden, war eine Lernaufgabe. Zu verroht und hasserfüllt war die Welt, die mich prägte und diese Gefühle durften mich und mein Leben nicht weiter vergiften und negativ beeinflussen.

 

Stärke liegt in Öffnung

Das heißt, die Stärke lag darin, mich in meiner Sensibilität und Empathie zu öffnen, mein inneres Kind und damit meine Vergangenheit als Teil meines Lebens zu akzeptieren, zu integrieren und darüber den feinen „Gefühlsradar“ für mein gegenwärtiges Leben zu nutzen. So ist nicht nur Wut, sondern auch Hass in mir vorhanden, den ich immer dann einsetzen werde, wenn mir jemand auf die Weise, wie meine Eltern und andere es taten, zu nahekommt oder meiner Vergangenheit entsprechend mein Leben bedroht. Je sensibler ich wurde, um so größer war der Wert für mich und mein Leben und umso mehr wuchs in mir der natürliche Wunsch und Trieb, dies zu beschützen. Es war fortan nicht nur ein Überleben, sondern ein Leben, welches es zu schützen galt. Nun hatte ich etwas zu verlieren.

 

Hass zerstört das Opfer und bindet es auf toxische Weise an den TäterIn – wirklich?

Für diejenigen unter Ihnen, die nun argumentieren, mit Hass bindet man sich an die TäterInnen, es sei zu radikal gedacht und man verschwendet wertvolle Energie und der Weg des eigenen Friedens führt über Loslassen und damit irgendwann in seinem Leben auch zum Verzeihen, möchte ich sagen, dass meine mittlerweile über 15jährige Erfahrung auf meinem Weg der Aufarbeitung bisher ergeben hat, dass der Mensch, dem ich verzeihen muss, zunächst ich selbst bin. Zum Loslassen von Hass sehe ich es für mich persönlich ähnlich, da ich mein Leben lang unter Selbsthass, mal mehr mal weniger bewusst, gelitten habe. Hierin liegt meine Zustimmung, dass dies mich an die TäterIn gebunden hat, indem es mich vulnerabel gemacht und gehalten hat. Der Selbsthass führte in meinem Fall in die Depression und absolute Hoffnungslosigkeit bis zu Suizidgedanken, da ich mich stellvertretend für die TäterInnen nun selbst zerstörte und dies auch noch als richtig und sinnvoll empfand. Die Saat des Täterhasses, den sie mein Leben lang gegen mich gelebt hatten, ging auf.

An dieser Stelle die Täter-Opfer-Umkehr in der Schuld-, Scham- und Hassfrage gerade zu rücken und ein gesundes Ventil zu finden, war lebensentscheidend und wäre mir ohne die aufopfernde Hilfe des Vereins El Faro nicht gelungen. Am Ende geht es doch darum, sich von den gestauten und übertragenen Gefühlen vom Täter auf das Opfer auf gesundem Wege zu befreien. Da in meinem Leben auch das Gefühl des Hasses dazugehörte und mich seit meiner Geburt tief prägte, brauchte ich eine Lösung für diese Gefühle. Die Verdrängung hatte ich dreißig Jahre mit dem Erfolg, dass sich diese Gefühle gegen mich selbst, meinen Körper, meine Seele und meinen Geist richtete, ausprobiert. Gleichzeitig war es mir mit diesem Energiepool nicht möglich mich gegen meinen Vater zu verteidigen. Der bewusste Zugriff auf diese Kraft war mir nicht möglich. Sie wurde stets gegen mich gelebt, stellte die größte Gefahr dar und so war meine Angst, diese Gefühle selbst zu leben, der ideale Schutz für meinen Vater und andere. Aus dieser Erkenntnis lernte ich Schritt für Schritt mich für diese beängstigenden und gleichzeitig kraftvollen Gefühle zu öffnen und sie in meine Selbstverteidigung und meinen Schutz zu lenken. Später nutzte ich die daraus gewonnene Stärke, um andere Betroffene zu unterstützen und ebenso zu schützen. Sexualisierte Gewalt durch die eigenen Eltern kann nicht prägender und persönlicher sein und am Ende sind wir Menschen alle Opfer des jeweiligen Standpunkts der Evolution.

Die Frage des Verzeihens den Tätern gegenüber kann wohl jeder nur für sich selbst beantworten, sowie jeder auch seinen eigenen Umgang für sich und sein Leben finden wird. Ich weiß nur, dass die Wunden und Achillesfersen, die meine Eltern und Großeltern mir geschlagen haben, nie gänzlich verschwinden werden, da die Verletzungen zu tief sind und über einen viel zu langen Zeitraum mit hoher Intensität an einem Kind, welches sich noch in der Entwicklung befand, geschehen ist. Meine Vergangenheit wird immer Teil meiner Gegenwart und meiner Zukunft bleiben. Ich werde immer ein anderes Leben leben und werde trotz meines unglaublichen Glücks, der wundervollen Seelenfamilie, die ich heute habe und es mir besser nicht gehen könnte, dementsprechend auf mich achten.

Viele Betroffene tragen trotz aller bewussten Erinnerungen, dem harten Weg der Aufarbeitung und der Abgrenzung zu ihren Eltern als TäterIn die natürliche tiefe Sehnsucht nach der nie dagewesenen Mutter oder dem nie existierenden Vater, so wie man sich als Kind und Mensch seine Eltern und Familie gewünscht hätte. An dem Punkt habe ich gelernt mir die Frage zu stellen: Haben Eltern, die ihr Kind sexuell missbrauchen und ihm derartig unvorstellbare Gewalt antun überhaupt das Prädikat Eltern, Mutter oder Vater verdient? Und würde dies im Umkehrschluss nicht auch bedeuten, dass ich mit meinen Sehnsüchten Menschen in ihrer Elternrolle nachjage, die es für mich in der Form gar nicht gegeben hat und gibt?

Auch ich habe meine Eltern, die in meinem Fall beide verstorben sind, im Außen, in anderen Menschen gesucht. Jedoch kann diese Zeit nicht nachgeholt werden und dieser Prozess hat mir gezeigt, wie wir Menschen funktionieren und wie wichtig die Gefühle einer Mutter und eines Vaters für das weitere Leben sind. Dies erklärt zudem, wie groß auch die Abneigung und das innere „No Go“ ist, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen oder sich im Zweifel körperlich gegen sie verteidigen zu müssen, selbst wenn sie TäterIn sind und gleichzeitig die größte Lebensgefahr sein können.

 

Eltern stellen die Matrize für unser Frauen- und Männerbild dar. Durch die Konditionierungen und traumatisch bedingten fehlerhaften Gefühlsverknüpfungen reagieren wir als Erwachsene oft unbewusst aus dem verletzten Kind. Dies geschieht, um Defizite auszugleichen und ist eine Überlebensstrategie, sodass besonders entwicklungstraumatisierte Menschen ihre Eltern auf ihr Umfeld projizieren. Dies lässt einen Betroffenen, wenn auch unbewusst, zum Opfer werden, indem er sich anpasst, falsche Erwartungen aus seiner Prägung heraus hegt, Verantwortung abgibt, aber auch seine ungelebte Wut und seine Verletzungen auf andere Menschen überträgt. Dies passiert bei ungelösten Traumatisierungen in einer entsprechenden Überverhältnismäßigkeit, wodurch es zwangsläufig zu Spannungen kommen kann. Viele Betroffene machen sich später abhängig von anderen Menschen, um ihre verborgenen Sehnsüchte auszuleben, sind unfrei und auch unfähig, wirklich zu lieben, da sie keinen vollständigen Zugang zu ihren Gefühlen zulassen können. Das Chaos und die sich immer wiederholenden Probleme sind, durch das unbewusste Reinszenieren, vorprogrammiert und es ist eine Frage der Zeit, wann die Vergangenheit sichtbar wird. Dieses Verhalten ist Überlebensstrategie und Flucht zugleich und damit auch eine Form des Verdrängens.

Viel schlimmer ist jedoch, dass Männer und Frauen, die wildfremd sein können, auch auf die sexuelle Konditionierung Zugriff erhalten, wenn der sexuell missbrauchte Mensch nicht auch hier die natürlichen Grenzen wieder ziehen kann und den Abschaltmechanismus bzw. die dissoziativen Zustände überwunden hat. Den Triggerpunkt der Sexualität bewusst kontrollieren zu können, setzt das Finden und Akzeptieren der eigenen und bewusst erlebbaren Sexualität voraus. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ich meine Sexualität erst finden konnte, als ich mich mit der darüberliegenden pervertierten Sexualität meines Vaters und meiner Mutter auf eine Weise auseinandergesetzt habe, die mir es mir ermöglichte, mich ebenso tiefgründig von ihr abzugrenzen, wie sie in mich hineingebracht wurde. Es war ein langer therapeutischer Weg, um die innere Abgrenzung so tief in mir spüren zu können. Natürlich habe ich sie auch schon vorher abgelehnt. Jedoch habe ich erfahren müssen, dass das allein für mich nicht ausreichte, wenn ähnliche Tätertypen z.B. die tief konditionierten sexuellen Gefühle meines Vaters in mir auslösen konnten und ich trotz aller Abwehr immer noch dadurch dissoziierte und entsprechend meinem Vater reagierte. Daher war ich, wenn ich ein echtes selbstbestimmtes Leben in jeglicher Hinsicht führen wollte, gezwungen diesen fruchtbar harten Weg zu gehen und mich intensiv mit der krankhaften Sexualität zu beschäftigen.

 Vor dem Hintergrund ein Opfer von inzestuöser Gewalt zu sein, ist dies einer der schwersten Punkte in der Aufarbeitung und auf dem Weg in ein überwiegend angstfreies und sicheres Leben.

 

 

 

Die Angst vor Sexualität – die Wurzel des Traumas durch sexualisierte Gewalt

Sexuelle Spannungen in mir oder wenn ich sie auch in anderen spürte, lösten über Angst den Abschaltmechanismus aus und damit den Freeze Zustand. Die Reaktionsweise war die des konditionierten Kindes und Mädchens, die ihrem Vater zu gehorchen hatte und die gelernt hatte, sie sei es selbst, die es so wollte und dessen Sexualität einzig und allein dem Vater und / oder der Mutter gehörte. Das heißt, ich glaubte, ich wolle es so und machte mit. Kaum jemand macht sich klar, dass sich auch dieses Verhalten in das Erwachsenenleben überträgt und man auf diese Weise, ohne den Zugang zu diesen Mechanismen und dem Trauma selbst, sein Leben lang ein willfähriges und abgeschaltetes Opfer bleibt, ohne dass man es will oder bewusst hat. Man lebt, ohne es bewusst zu merken, ein Leben, welches nicht das eigene ist. Oder was denken Sie, warum viele auch im Erwachsenenalter Vergewaltigungen verdrängen und warum sich in einem Vergewaltigungsopfer, welches vom Verstand weiß, dass es dieses selbst nicht wollte, Schuld- und Schamgefühle so hartnäckig halten und diese es sogar in den Suizid treiben können?

 

Der gefühlt dauerhypnotische Lebenszustand

In meiner Wahrnehmung fühlte sich mein Leben wie eine Art hypnotischer Zustand an, eine Art Dauerdissoziation oder Betäubung, aus der ich durch die andauernde Gewalt und Traumatisierung gar nicht mehr richtig herauskam. Bei zusätzlichen Auslösern und Androhung von erneuter Gewalt verstärkte sich die Gefühlstaubheit entsprechend und reichte bis zur vollständigen Bewusstlosigkeit, wenn die Gewaltexzesse mal wieder ihren Höhepunkt erreichten.

Es war ein Lebenszustand, der mir nicht das Bewusstsein nahm, aus dem ich aber wie manipuliert reagierte.

Ein Mensch, der als Kind derart konditioniert wurde, benötigt nur geringe Auslöser, um in für ihn unkontrollierbare Verhaltensweisen abzurutschen, die unter Umständen sogar lebensbedrohlich werden können. Sogenannte Trigger, die die Betroffenen sich oft wieder mühsam ins Bewusstsein holen müssen, um ihre natürliche Reaktionsweise zu ihrem Selbstschutz wiederherzustellen.

 

Mögliche Auslöser der Dissoziation können unter anderem sein:

 

·      Gesten, Mimiken, Worte, Situationen

·      Gerüche, Räume, Gegenstände usw.

·      Gefühle, Sehnsüchte, ungestillte Bedürfnisse

·      Ängste, Unsicherheiten

·      sexuelle Gefühle

·      Aggressionen

·      Mitleid, aber auch Liebe und Nähe

·      bestimmte Menschentypen und / oder Lichtzeichen, Farbcodes u.ä.

 

Es sind die tiefen und nur schwer sichtbaren unterbewussten Prägungen und Automatismen eines Menschen, der in so früher Zeit und oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg durch eine derart nahestehende Person wie den eigenen Vater und die eigene Mutter sexualisierte Gewalt, entsprechende Gehirnwäsche und Todesängste erleiden musste. Natürliche Gefühle wie Liebe zu den Eltern werden mit Sexualität, Gehorsam, Macht und Demütigungen gekoppelt. Angst wird zum Lebensgefühl und damit auch die Dissoziation und die Lähmung. Ein Leben als Zombie, als Halbtoter, in dem die Hoffnung mehr und mehr schwindet, jemals wieder die Aussicht auf ein „normales“ Leben zu haben. Sollte er dann doch die Chance haben, dem Teufelskreis zu entkommen, den Täterkontakt abbrechen zu können, beginnt erst der eigentliche Kampf: der Kampf um die Seele und damit die Suche nach sich selbst und seiner eigenen Identität. Sich selbst neu zu definieren, die fatalen und täterloyalen Gefühlsverstrickungen in sich zu entwirren und neu zu verkoppeln, erfordert professionelle und erfahrene Hilfe und eine große Portion Geduld für beide Seiten.

Spüren Sie bei diesem Gedanken nicht auch mehr als Wut?

Mein Hass, ob dessen was mir angetan wurde, baute sich mehr und mehr auf, je größer mein Blickfeld wurde, je mehr ich durchschauen konnte, wie perfide und subtil Missbrauch und Gewalt jeglicher Art für Spuren in mir und anderen hinterließ. Wie Gefühle meiner Mitmenschen meine eigenen beeinflussen und wie „ver-rückt“ ich und andere auf Grund der komplexen Traumatisierung reagierten. Meine Wahrnehmung war massiv beeinträchtigt und ich musste lernen, dass mich nichts mehr schockiert und mich derart in Angst versetzt, dass meine Seele meint: ich bin dann mal weg!  Grundlagen, warum die Seele überhaupt für mein Leben wichtig ist, musste ich auch lernen. Schließlich war dies der Teil meines Seins, den ich zu meinem Selbstschutz unter Verschluss gehalten hatte und ich wuchs in einem seelenlosen Zuhause auf. Wer brauchte sie also?

 

Wut als Gefühlsventil, Aggression als Lebenskraft und Hass als Lebensversicherung

Also kann man sagen, dass das Zulassen meiner gestauten Wut zunächst meine Lebensqualität, einschließlich meiner Gesundheit, enorm verbessert hat und mein Lebenswille darüber zurückkehrte. Mein Leben lang litt ich unter den Folgen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, die in meinem Fall u.a. schwere Depressionen, Neurodermitis, Neurosen, eine Essstörung und Magen-Darm-Beschwerden mit sich zog.

Aber auch meine Angst, erneut zum Opfer zu werden, dass sich auch nur irgendjemand diese von meinem Vater und meiner Mutter angelegten Mechanismen für seine Perversionen und Triebe zu Nutze machen könnte, forderte mich auf, mich gegen alle möglichen Auslöser der für mich lebensbedrohlichen Dissoziationen entsprechend zu wappnen. Da ich zu Beginn meiner Aufarbeitung tiefe Suizidgedanken hatte, wusste ich, ich würde mindestens den psychischen Tod sterben, sollte ich noch einmal vergewaltigt werden oder ähnliche Übergriffe und Gewaltexzesse erleben, die ich nur um Haaresbreite überlebt habe. Daher spreche ich bewusst von Lebensbedrohung.

Mein Entschluss stand fest, ich wollte mich weiter und weiter für die Abgründe der sexualisierten Gewalt und ihren Auswirkungen in meiner Seele öffnen, um sensibler zu werden, damit niemand außer mir mehr Macht über meine Gefühlswelt hat. Die von meinen Eltern angelegten Achillesfersen galt es unbedingt zu verstehen und zu schließen, so dass die Gefahr, jemandem erneut auf diese Weise zum Opfer zu fallen, minimiert und am besten ausgeschlossen ist.

 

Aggression ist etwas Positives und wie bei jedem Gefühl kommt es auf die Dosis an ob es konstruktiv oder destruktiv gelebt wird.

Jeder betroffene Mensch ist auf seine Weise aggressiv, denn sich zu öffnen, gegen die inneren Mauern und Blockaden derer, die uns gegen unsere Natur prägten, anzukämpfen, geht nur mit gesunder Durchsetzung, also mit Aggression.

Aggression heißt nicht, sich der Welt und anderen Menschen gegenüber zu verschließen. Sondern ganz im Gegenteil, ich musste mich für sie ebenso öffnen wie für mich und meine Gefühle, damit ich erkennen konnte, ob sie Freund oder Feind sind bzw. unterscheiden zu lernen. Konfliktfähigkeit galt es auch zu lernen, wenn ich im Leben etwas erreichen wollte. Meine Wahrnehmung bei unterschiedlichen Charakteren weiterzuentwickeln und es nicht persönlich zu nehmen, wenn Menschen eher extrovertierte Typen sind und mit ihrer eher aggressiveren Grundhaltung nicht „böse“ sein müssen, sondern aktiver, dominanter und dynamischer sind als ich oder andere. Die Anforderung war die Komplexität der Menschen in ihrer individuellen Persönlichkeit und ihren Reaktionsweisen bewusst in mich aufzunehmen und mich darüber weiterzuentwickeln und meinen Hass auf meine traumabedingten Defizite und die Welt nicht an ihnen auszulassen, sondern diesen Hass in mir zu konservieren für den Fall, dass ich in die Situation komme, mein Leben verteidigen zu müssen.

Dafür musste mir als erstes bewusstwerden: erst wenn ich meine Angst und den Schmerz spüre, werde ich mich schützen können.

Verteidigung ist nur möglich, wenn ich dies aus meiner inneren Entschlossenheit heraus schaffe und bewusst handle. Egal was passiert, ich werde nicht abschalten oder innerlich weggehen, das war und ist mein Anspruch - meine Lebensversicherung. Außerdem habe ich mir geschworen, dass ich alles tun werde, um mein Leben, mit allem, was nötig und im legalen Rahmen ist, zu beschützen und dafür werde ich all den konservierten Hass in mir abrufen, den es braucht, um einem ebenso hasserfüllten Täter oder auch Täterin, der es auf mich abgesehen hat, adäquat entgegentreten zu können. Wenn dies für den einen oder anderen übertrieben scheint:

 

1.       Ein Täter, der sein von ihm über Jahre und Jahrzehnte gepflegtes und geformtes Opfer verliert, wird ihm mit zusätzlichem Hass begegnen, da es im Stande ist ihm seine Existenz zu nehmen und ihn der Strafverfolgung zuzuführen. Ein Mensch, der sein Leben lang dissoziierte und sich vor solchen Tätern schützen muss, hat oft keine Anzeige gemacht und steht häufig allein. Er braucht für sich die maximale Sicherheit im Zweifel reagieren zu können, um sich ein Leben danach aufbauen zu können. Selbst eine Anzeige lässt einen Täter nicht immer auf Abstand gehen, vor allem dann nicht, wenn er sich sicher wähnt, dass sein Opfer allein durch seinen Anblick und seiner schrecklichen Gefühlswelt in die Dissoziation fällt. Die Dissoziation ist die Lebensversicherung des Täters.

2.       Allein das Bewusstsein, dass der Zugriff auf die Gefühle der eigenen Wut, Aggression und des Hasses möglich ist, schützt den Betroffenen in die Dissoziation zu fallen und sich stabil zu halten. Das Bewusstsein schützt davor erneut Opfer zu werden oder so behandelt zu werden.

 

Menschen, die andere zum Opfer machen möchten und die ihrerseits ihren ganzen Hass auf die Welt gegen einen Betroffenen leben, ihre Autorität ausnutzen oder auch nur die Narbe auf der Seele sehen und sie für sich ausnutzen wollen, werden nicht mehr so leicht angreifen, wenn sie spüren, dass er sich wehren wird. Der nun aufrechtstehende Überlebende wird sich aus dem wiedergewonnenen Selbstverständnis und dem Mechanismus heraus, der uns Menschen von Natur aus reflexartig zum Schutz unserer Existenz mitgegeben ist, verteidigen, zur Wehr setzen und um sein neu gewonnenes Leben kämpfen.

 

Kein Opfer und auch kein Täter werden, sondern Mensch

Wie Sie sehen, geht es nicht darum, hasserfüllt durch sein Leben zu gehen, sondern ganz im Gegenteil. Es geht darum Menschlichkeit zurückzugewinnen und der Mensch zu sein, der man im Grunde immer war und darauf aufzubauen. Um dies zu können, braucht es allerdings noch ein einziges Mal den Weg der Erkenntnis, wie wir als Betroffene von uns selbst weggebracht wurden und wie uns die Lebenskraft und unsere Durchsetzung für uns selbst und unser Leben genommen wurde. Weiterhin geht es darum, wie uns diese Prägung im weiteren Verlauf fatal beeinflussen kann. Das Leben eines Betroffenen ist ein besonderes und es gehört zur Realität unserer Welt, dass es immer Täter und Täterinnen geben wird. Dementsprechend ist es für das persönliche Sicherheitsgefühl eines Opfers von einst wichtig, das nötige Bewusstsein zu haben, sich im Falle eines Falles adäquat und in der Verhältnismäßigkeit der Mittel durchsetzen zu können und nicht innerlich wegzugehen und zu dissoziieren. Ob dieser Fall dann eintreten wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt und wird hoffentlich nie eintreten. Entscheidend ist, sich gut mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und sich entsprechend vorzubereiten, um maximale Sicherheit und Stabilität zu erreichen. Fest steht jedoch, dass das erstarkte Opfer nach diesem mutigen und herausfordernden Weg nicht nur ein Überlebender, sondern ein Lebender ist, und dieser Mensch wird sich sein Leben nicht mehr ohne Weiteres nehmen lassen.

 

 

 

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