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WENN ELTERN TÄTER SIND

Aktualisiert: 15. Aug.

In welchem Konflikt stehen Betroffene, wenn die eigenen Eltern Sexualstraftäter: innen sind?



Jeder von uns kennt vielleicht die konfliktbelasteten Gefühle, die man als das sexuell missbrauchte Kind bis ins Erwachsenenalter seinen Tätern - den Eltern in diesem Fall - gegenüber haben kann.

Der Täter-Opfer-Konflikt: Man weiß man muss sich trennen, schafft den Kontaktabbruch sogar und doch nagt an einem beispielsweise die Angst allein zu sein, Selbstverantwortung zu übernehmen, nirgendwo dazuzugehören, keinen Rückhalt im Notfall zu haben, kein Zuhause, keine gewohnten Strukturen, Angst vor Neuem und Unbekanntem, fehlender finanziellen Absicherung und erneuten Abhängigkeiten usw. bis hin zu: „Ich liebe sie doch.“

Oder wenn man den Kontaktabbruch noch nicht geschafft hat: Die wesentlichste Angst ist die Angst vor Provokation und erneute Bedrohung und Gewalt, aber Betroffene spüren oft auch eine Art „schlechtes Gewissen“, dass man seine Eltern, seine Familie doch nicht allein lassen kann, sie brauchen einen doch - man wurde darauf konditioniert die Verantwortung zu tragen und es gibt einem das Gefühl von Stärke, Gebrauchtwerden und eine Art von Macht.

Oder: es hält einen vielleicht ein Teil der Familie zurück, der ebenso Opfer ist und nichts für die Misere kann. Ein Teil, dem man sich besonders verbunden und damit verpflichtet fühlt. Ein geliebter Mensch, wie zum Beispiel ein jüngerer Bruder oder eine Schwester, der auch gern als Druckmittel seitens der Täter eingesetzt wird, lässt einen nicht gehen, obwohl man selbst nicht mehr kann. Vielleicht hat man sich sogar für diesen Teil schon viele Male selbst geopfert oder sein Leben in Gefahr gebracht, damit der Täter oder die Täterin den geliebten Menschen verschont.

Oder: man glaubt, man bekommt die Familie schon „irgendwie“ wieder hin, wenn man nur besonders offen, liebevoll und warmherzig ihnen gegenüber ist - der „Retter“, der sich sein Festhalten bzw. das Festgehalten werden rationalisiert, sie lieben will und diese Sehnsucht ihn den Tod auf Raten sterben lässt.

Oder schlichtweg die wesentlichste Angst bzw. Todesangst vor den Konsequenzen, wenn man geht und die Gefahr für den / die TäterInnen besteht, der- oder diejenige könnte öffentlich werden und die Strafverfolgung einleiten.

Diese Liste ist sicher noch zu verlängern und es sind nur einige und doch in den meisten Fällen zutreffende Beispiele. Alles sind konditionierte Mechanismen und Abhängigkeiten, die uns zur Falle werden, wollen wir uns von den TäterInnen bzw. der „Familie“ lossagen. Es werden dabei die von Natur aus mitgegebenen Gefühle, die wir als Babys zwangsläufig mitbringen und die für uns gerade zu der Zeit überlebenswichtig sind von den TäterInnen / den missbrauchenden Eltern genutzt:

·      Bindung und Prägung auf seine Eltern (Urvertrauen)

·      bedingungslose Liebe und Schutz der Eltern / Familie

·      wir sind als Babys / Kinder abhängig von ihnen 

·      seelischer Schutzmechanismus der Verdrängung

 

All das in Kombination mit den immer wiederkehrenden Übergriffen lässt uns die für unser weiteres Leben so wichtigen Entwicklungs- und Stabilisierungsschritte nicht gehen. Viele Gefühle entwickeln sich in uns kaum bis gar nicht, müssen später nach der Bewusstwerdung der Ursache erst wieder mühsam erlernt werden. Und bei einigen wenigen Dingen werden wir mit einer Restschädigung leben lernen müssen. Das meiste lässt sich sehr gut wieder erlernen, da alles in uns auf Leben ausgerichtet ist und es uns zwangsläufig immer wieder zu uns selbst zurückzieht. Auf gewisse Weise jedoch sind wir als Opfer dieses Dramas emotional verkümmert bzw. stehengeblieben in einigen entscheidenden Bereichen. Fast so, als hätten wir nie laufen gelernt und erst im Alter von z.B. 35 stellen wir fest, dass unsere Beine zum Laufen da sind und wir dazu in der Lage sind.

Mit diesen Defiziten und der Täter- / Gefühlskonditionierung der Täterwelt tragen wir enorme Zweifel, Fehlidentifikationen sowie Schuld- und Schamgefühle in uns und eine anerzogene Unselbständigkeit, Naivität und Abhängigkeit zum Täterkreis oder den TäterInnen ähnlichen Menschen. Wir hatten kaum eine Chance, uns gänzlich zu dem Menschen zu entwickeln, der wir im Grunde unseres Herzens sind, unsere Fähigkeiten und Stärken zu entwickeln, geschweige denn sie gefördert zu bekommen. So viele Betroffene spüren / fühlen sich nicht wirklich, eine Leere füllt sie aus, begleitet sie durch ihr Leben und sie glauben nicht zu wissen, wer sie wirklich sind, was sie ausmacht, wohin sie gehen sollen, welche Ziele sie haben oder ob sie diese erreichen können usw. Durch die sexualisierte Gewalt der eigenen Eltern, die von Natur aus die stärkste Gefühlsverbindung zu uns aufbauen und unser Leben lang haben werden, wird ihr eigener, nicht verarbeitete Irrsinn, ihre selbst erlebte sexualisierte Gewalt, ihre gesamte Gefühlswelt (positive aber eben auch die gestaute negative, wie Depressionen, Aggressionen, Verhaltensweisen, Ängste, Frustrationen, Süchte, Affinität zu bestimmten Erkrankungen, Sexualitätsempfinden, Umgang mit Stress, dem sozialen Umfeld, etc.) auf uns übertragen und wir sind als Seelenmülleimer zum Leben in ihrer Gefühlswelt verdammt. Abgrenzung ist nur bedingt möglich und vor allem nicht gewünscht. Zumindest ertragen wir es oft so lange, bis wir volljährig sind und sie nicht mehr die Erziehungsgewalt über uns haben.

Die frühkindlichen und natürlichen Gefühle der Bindung und Liebe zu seinen Eltern ist auch der Grund, wenn missbräuchlich ausgenutzt, warum ein Mensch sich als Erwachsener schwer für liebevolle, aufrichtig gemeinte Gefühle öffnen kann. Ist doch seine Lernerfahrung, dass hinter dem Vertrauen und der Liebe immer eine schreckliche Konsequenz lauern kann. So hat er Angst sich zu öffnen und kommt im Umkehrschluss auch nicht mehr an sein Vertrauen und seine Liebe zu sich selbst heran - die Mauer der Verdrängung, die in beide Richtungen verschließt, lässt ihn im Teufelskreis stecken bleiben.

Viele Betroffene werden aufgrund dieser tiefen Verletzung zwangsläufig zu EinzelkämpferInnen, da sie sich nur auf sich selbst verlassen konnten und mit den Kompensations- und Überlebensstrategien, die ihnen ihr Überleben sicherten, ein oft über jahre- und jahrzehntelang ausgeklügeltes und sich manifestierendes Konzept erarbeitet haben. Dieses Konzept beinhaltet wenig bis keine Gefühle zuzulassen und damit abgeschnitten von sich selbst zu sein.  Denn niemand soll einen erneut verletzen und man möchte die darunter liegende große Verletzung nicht spüren, sonst ist das Überleben nicht gesichert – die Betroffenen spüren in sich die zunehmende Instabilität.

Will man nun die Aufarbeitung angehen, ist es nötig, die alten Wunden offen zu legen, die provisorisch durch die Schutzmechanismen der Seele und den zusätzlichen Stützverbänden mittels Kompensationen wie unter anderem durch Suchtverhalten, Vermeidung, Fluchten jeglicher Art, abzulegen, um die sich weiter ausbreitenden Wunden zu reinigen und zu versorgen.

Der Aufarbeitungsweg bedeutet also, sich vor allem wieder für sich selbst zu öffnen. Das Vertrauen in sich selbst zu setzen und dies auch wirklich tief in sich zu spüren. Hierbei ist eine sensible und fachkompetente Hilfe natürlich wichtig, da es allein nicht möglich ist, sich aktiv und kontrolliert für die so belastende Gefühlswelt zu öffnen, um nun daraus zu lernen.

Ohne Zweifel ist es ein harter und oft auch langer Weg, aber er lohnt sich, da das sicherste Investment immer in sich selbst liegt. Das kann einem niemand mehr nehmen und wenn du einmal tief in dir gespürt hast, wie die ganze Last der konditionierten Gefühlswelten und das, was du durch TäterInnen glauben solltest, von dir heruntergenommen ist, was für ein ÜberlebenskämpferIn du in Wahrheit bist und immer warst, wird das deine ganze Wahrnehmung für dich selbst und dein Leben verändern. Lass nicht länger zu, dass die, die dich dein Leben lang unterdrückt, gequält und schlimmste Dinge an dir verbrochen haben, dein Selbstbild weiter trüben und auf so massive und oft gefährliche Weise beeinflussen, dass du dich selbst nicht siehst. Hole dir Hilfe und Unterstützung bei Menschen, die sich im Thema auskennen, vernetze dich mit anderen Betroffenen, die den Weg gegangen sind. Du bist nicht allein – wir sind viele.

 

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